Sandra Maischberger: Ehrenmord & Talkshow

Bestenfalls Agenda-Abbilderin

Als Talkshowgastgeberin, aber auch als Filmproduzentin zählt Sandra Maischberger (Foto: Raimond Spekking) seit Jahren zu den prägenden Figuren des politischen Journalismus in Deutschland. Ein Gespräch mit der 53-jährigen Münchnerin über Ehrenmorde und Populisten, Debattenkultur, schwierige Gesprächspartner und wie sich ihr pubertierender Sohn ber die Welt informiert.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Frau Maischberger, Ende Januar lief Nur eine Frau übers reale Ehrenmordopfer Hatun Sürücü im Fernsehen – ein Dokudrama. Wie viel Gefühl lässt Ihr journalistisches Ethos bei der Fiktionalisierung eines solch realen, aber auch emotionalen Stoffes zu?

Sandra Maischberger: Ach, da durfte ich mich als Produzentin zum Glück entspannt zurücklehnen und die Emotionalität an die künstlerische Leitung delegieren. Aber weil ich aus der Ratio komme und die Regisseurin aus dem Bedürfnis, Geschichten zu erzählen, die die Menschen berühren, hat mich diese Arbeit emotional trotzdem ganz schön durchgeschüttelt.

Haben Sie dabei etwas über sich und Ihre Arbeit gelernt?

Ich glaube, ich hoffe ja. Die tiefere Erkenntnis, wie wichtig es ist, Zuschauer emotional zu berühren, wie schwer aber auch, dabei nicht platt zu werden, also auf Tränendrüsen zu drücken, statt mitzufühlen. Dank Sherry Hormann war das eine sehr bewegende Reise für mich.

Warum gab es im Anschluss dann keine Talkrunde bei Maischberger – die Woche zum Film?

Das wäre in der Tat mein Wunsch gewesen, aber unter der einen Bedingung, es nicht selbst zu moderieren. Dafür bin ich angesichts des eigenen Films einerseits zu befangen, das hätte definitiv ein Geschmäckle gehabt. Andererseits positioniere ich mich – zumindest in der Öffentlichkeit meiner Talkshow – nicht gern zu bestimmten Themen. Das ist meine Hygiene-Regel als Moderatorin.

Die am Ende immer auch eine Mediatorin oft gegensätzlicher Standpunkte ist.

Genau. In diesem Fall hatte ich mich auch vorher schon oft im Sinne der Frauenrechte positioniert. Wie soll ich mich dann da hinsetzen und die Runde neutral ins Gespräch bringen? Deshalb habe ich vorgeschlagen, mit Frank Plasberg einmalig den Platz zu tauschen oder eine andere Kollegin als Moderatorin zu bitten. Beides ließ sich aber doch nicht seriös umsetzen.

Wie populismusanfällig ist dieses Thema denn sowohl im Film als auch in der Berichterstattung angesichts der Tatsache, dass Menschen mit dem berühmten Migrationshintergrund auch hier vor allem als Opfer oder Täter vorkommen?

Nicht sonderlich. Wir schildern sie ja nicht nur aus diesen zwei Perspektiven, sondern eben auch aus der, muslimischer Familien, die ihr Leben teils sehr erfolgreich frei von Konventionen leben. Weil der Film diese Differenzierung zeigt, funktioniert er jenseits vieler Stereotype. Auch deshalb ist uns der übliche Shitstorm bislang wohl nicht um die Ohren geflogen. Und die Tatsache, dass selbst bei mir zuhause, im kosmopolitischen Berlin, viele Menschen gegen ihren Willen verheiratet werden, hat mich zu sehr schockiert, um es aus Angst vor Scheuklappendenken nicht zu erzählen.

Versuchen Sie darüber hinaus denn, Populismusanfälligkeit Ihrer Talkshow- oder Dokumentarthemen zu vermeiden?

Wir versuchen immer ordentlich zu arbeiten. Wer das tut, setzt Themen auf, wie sie sind. Sagen, was ist – so lautet doch eine Kernmaxime des Journalismus von Rudolf Augstein, wenn ich mich recht erinnere. Dabei lassen sich Shistorms gerade in unserer aufgewühlten Zeit natürlich nicht vermeiden. Aber es wäre aus meiner Sicht ein Riesenfehler, Fehlinterpretationen von vorneherein aus dem Weg gehen zu wollen. Herum zu eiern macht definitiv den wenigsten Sinn.

Aber wie hält man da in Ihrer Position als Agenda-Setterin die Balance?

Indem ich mir zum Beispiel darüber bewusstwerde, keine Agenda-Setterin, sondern bestenfalls eine Agenda-Abbilderin zu sein – schon deshalb, weil Sendungen am besten funktionieren, über deren Thema sich die Leute schon mal Gedanken gemacht, also mitgedacht haben. Sujets zu besprechen, die gesellschaftlich noch überhaupt keine Rolle spielen, gelingt nur ungemein selten.

Dieses hier war also auch, als Sie zehn Jahre zuvor erstmals darüber bei Maischberger diskutiert haben, bereits in den Köpfen?

Ich würde sagen, es war damals wie heute zwar durchaus schon ausdifferenziert, aber nicht ausreichend im kollektiven Bewusstsein angekommen. Der Fall von Hatan Sürücü hat 2005 zwar kurz enorm hohe Wellen geschlagen und ins Gedächtnis gerufen, dass Traditionen von Hardlinern aller Religionen fundamentalistisch ausgelegt werden; mittlerweile kam es aber eher wieder zu einem Backlash, bei dem radikale patriarchale Traditionen wie die Zwangsheirat wieder an Gewicht gewinnen.

Dennoch stellt sich die Frage, was generell diskutabel ist in der Mediengesellschaft. Es gibt ja Themen, die von der herrschenden Meinung bestimmt werden, und solche, die journalistisch geboten sind, also kuratiert werden. Wie treffen Sie diese Auswahl, ohne der Lautstärke vermeintlicher Meinungsführer auf den Leim zu gehen?

Indem wir uns nüchtern ansehen, was für uns und unsere durchschnittlich älteren, aber durchaus heterogenen Zuschauer relevante Themen der Woche waren. Da ist ereignisbezogene Aktualität ebenso wichtig wie Debattentauglichkeit. Es wird häufig moniert, warum Digitalisierung so selten in Talkshows vorkommt. Ganz einfach: es ist ein Thema, das unheimlich viele Bereiche umfasst, über die man entweder schon vorher enorm viel wissen oder sich lange Erläuterungen anhören muss. Beides sind keine guten Voraussetzungen für verbale Kontroversen. Über Konjunktive lässt sich nicht gut streiten.

Fehlt bei der Digitalisierung womöglich auch ein Antagonist, der sagt, Digitalisierung sei Blödsinn?

Vielleicht auch das, denn weil Digitalisierung nun mal passiert, wäre der Standpunkt ja Blödsinn. Diese Themen eignen sich besser für andere journalistische Formen wie Reportage oder Magazinbeiträge. Anderes Beispiel: Klimawandel. Bis vor ein, zwei Jahren hat das nur wenige hier interessiert, weil die meisten meinten, er betreffe sie nicht persönlich. Das hat sich radikal geändert. Inzwischen will wirklich jeder darüber mitreden. Eine Talkshow sollte den Anspruch haben, verschiedene Meinungen in Diskurs zu bringen – beim Klima etwa zur hochemotionalen Frage, ob man persönliche Freiheiten einschränken darf. Wir haben uns in der Redaktion aber erst kürzlich entschieden, da einen anderen Weg zu gehen.

Nämlich welchen?

Wir folgen der Beobachtung, dass es für viele Menschen zusehends schwer scheint, die Fülle an Informationen aus aller Welt einzuordnen und zu verstehen. Deshalb haben wir eine meinungsstarke Kommentatoren-Runde eingerichtet, dazu vertiefende Einzelgespräche und als drittes Element, ein Duell oder Duett, um Fragen kontrovers zu diskutieren, also Information und Haltung neu zu arrangieren, was in größeren Runden schon mal durcheinander geht. Allein durch diese Neusortierung kann man übrigens auch Populismus in Talkshows ein Stück weit vorbeugen.

Woran sich die Frage anschließt, wie oft die aufgeklärte, liberale, demokratische Mediengesellschaft etwa eine rechtspopulistische Partei wie die AfD noch ins Zentrum der Debatte stellen muss, ohne sich von ihr instrumentalisieren zu lassen?

Ehrlich gesagt, finde ich das „muss“ in dieser Frage schon falsch. Natürlich kann man darüber streiten, ob jeder einzelne, oft nur zur Polarisierung geäußerte Satz der AfD diskutiert werden sollte. Aber wenn ein Phänomen wie der Rechtspopulismus im Größenverhältnis einer globalen Bewegung vorhanden ist, kann man ihn nur noch nicht nur deshalb aussparen, weil man befürchtet, durchs Thematisieren mache man alles noch schlimmer. Es gehört eben zu unserer Aufklärungspflicht, nichts totzuschweigen, sondern Dinge beim Namen zu nennen.

Und damit gegebenenfalls größer zu machen, als sie sind?

Der Gedanke, Sendungen wie meine Talkshow würden die AfD stärken, weil wir sie, gemessen an ihrem Sitzanteil in den Parlamenten, sehr oft einladen, überschätzt die Bedeutung des Fernsehens. Wir haben im medialen Raum kein Alleinstellungsmerkmal. Das Phänomen dieser Partei hat lange, bevor es bei uns stattfand, Fahrt aufgenommen – und zwar im Internet. Denn das hatte sie weit vor allen anderen Parteien schon früh als Kommunikationsmittel erschlossen und ihre Blase darin so aufgepumpt, dass dieses Phänomen wuchs und wuchs und uns nur zwei Möglichkeiten ließ: ignorieren oder benennen. Als politische Berichterstatter, die sich am aktuellen Diskussionsstand orientieren, ist die erste Möglichkeit im Grunde ausgeschlossen.

Aber stellen Sie sich nicht dennoch manchmal die Frage, warum jene, die den Diskurs verachten, andauernd zu eben jenem Diskurs hinzu gebeten werden?

Glauben Sie mir: ständig. Natürlich sind wir der Mechanismen, die Rechtspopulisten offensiv einsetzen, manchmal überdrüssig. Trotzdem ist das keine Entscheidung, die wir aus subjektiver Sicht, gar Betroffenheit zu treffen haben. Vertreter der AfD generell nicht mehr einladen zu wollen, lässt sich in unserer Demokratie nicht begründen. Auch, wenn das die Arbeit nicht leichter macht: Es geht nie um die Frage des Ob, sondern Wie. Es stimmt, was zuletzt Wolfgang Schäuble formuliert hat: funktionierende Demokratie braucht eine gemeinsame Öffentlichkeit. Wenn jeder seine Informationen nur aus seiner eigenen Filterblase bezieht, kann das nicht gelingen. Talkshows sind einer der wenigen Orte, wo eine gemeinsame Öffentlichkeit noch stattfindet.

Gab es diesen Tisch, an dem wir sitzen, vor zehn Jahren auch schon?

Den Tisch gab es, aber er stand noch woanders.

Wurde daran ähnlich hitzig darüber diskutiert, den islamistischen Prediger Pierre Vogel in eine Talkshow zum Thema Zwangsheirat einzuladen und mit einem Opfer zu konfrontieren?

Klar. Er war damals kein Täter, sondern allenfalls Schreibtischtäter. Wer sich mit Ehren-, Ritual-, Eifersuchtsmorden an Frauen befasst, sieht, dass es diese Taten in allen Bevölkerungsschichten gibt. Familienministerin Franziska Giffey hat dazu unlängst eine Studie veröffentlicht, die solche Taten in erschütternder Zahl über alle Konfessionsgrenzen hinaus auflistet. In unserer aufgeklärten Gesellschaft gibt es allerdings den Konsens, dass solche Taten verurteilt werden.

Ist diese Sicht optimistisch oder realistisch?

Beides. Dennoch gibt es unterm Mantel irgendwelcher Traditionen noch immer Versuche, die jahrtausendealte Gewalt gegen Frauen zu rechtfertigen. Spätestens an dem Punkt wird es zur gesamtgesellschaftlichen Angelegenheit, die diskutiert werden muss. Vielleicht waren wir uns 2010 noch nicht ausreichend bewusst, wie gewalttätig die islamistische Ideologie gegenüber Frauen in Deutschland schon ist. Auf die Manifestierung des politischen Islam wurden wir erst mit den Anschlägen von 9/11 richtig aufmerksam. Und ein massiver Schub kam durchs Auftauchen des sogenannten Islamischen Staates. Im gleichen Zeitraum hat sich auch die extreme Rechte radikalisiert. Aber auch sie gibt es schon lange – und mit ihr die Frage, wie man medial damit umgehen soll. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: bei Talk im Turm, den ich selber ja auch moderiert hatte.

Anfang der Neunzigerjahre.

Da hat mein Kollege Erich Böhme Anfang der 90er versucht, Jörg Haider zu entzaubern.

Was furchtbar in die Hose ging…

Ja, und zwar weil er sich so fest vorgenommen hatte, den FPÖ-Chef vor laufender Kamera zu entlarven. Das hat mich vom Gedanken kuriert, man müsse extrem Radikale einladen, um sie in einer knappen Sendestunde vorzuführen, besser noch: umzustimmen. Dennoch bleibt es aus meiner Sicht grad im Zeitalter von Social Media die schwerste Aufgabe des politischen Journalismus, sich mit radikalem Gedankengut auseinanderzusetzen. Wir müssen den Menschen aufzuzeigen, dass es zu jeder Rede Gegenreden gibt; eben die kommen in den meisten Filterblasen nicht vor. Um die Kontroverse abzubilden, müssen wir auch in die Kontroverse gehen. Unter Gleichgesinnten zu diskutieren, hilft niemandem weiter.

Führt das in der Konsequenz manchmal zum Streit um des Streits Willen?

Nein, Streit um des Streits Willen war nie unser Ziel. Weil manche Gäste ihn dennoch suchen, haben wir für unsere Sendung die Konsequenz gezogen, im kleineren Rahmen zu streiten. So wie sich die öffentliche Debattenkultur verändert, ändert sich auch die mediale Debatte. Der Ton der Auseinandersetzung ist schärfer und unerbittlicher geworden. In großen Runden lässt sich das schwerer beherrschen.

Das klingt jetzt fast so, als wurde früher stets gesittet gestritten…

In den Achtzigern, behaupte ich jetzt einfach mal, wurde zumindest noch angstfreier gestritten. Durchaus bitter und böse, manchmal sicher auch verletzend, aber in einer Art, die noch zur respektvollen Debatte und zum versöhnlichen Ende bereit war, nach dem Motto: we agree to disagree. Heute hingegen muss man bei jedem Satz beachten, was er in den medialen Echokammern der Debattengegner auslöst.

Und zwar in Echtzeit, während der Sendung.

Das führt einerseits zu falscher Zurückhaltung besonnener Standpunkte, andererseits zum keifenden, verletzenden Tonfall auf der unbesonnenen Gegenseite. Wer den geborenen Streithahn Franz-Josef Strauß nicht mochte, mochte ihn auch in Gesprächssendungen nicht; danach konnte er sich mit seinen Gegnern bei einem Glas Bier angeregt unterhalten. Das erlebe ich in letzter Zeit seltener.

Weil die Fronten verhärteter sind?

Die Fronten, aber auch die Umgangsformen. Beides muss immer schärfer konturiert sein, um in der Masse digitaler Medien sichtbar zu werden oder zu bleiben. Über den eigenen Tellerrand zu schauen, gar nachzugeben, also Schwäche zu zeigen, wird darin zusehends undenkbar. Bei Talk im Turm wurde nach der TV-Diskussion – so hitzig sie auch gewesen sein mag – einfach weiterdiskutiert, meist konstruktiv. Jörg Haider war damals schon die Ausnahme; mit ihm anschließend höflich zu plaudern, schloss sich schlicht aus. Aber noch die härtesten Widersacher von Grünen und CSU sind hinterher miteinander im Gespräch geblieben.

Seinerzeit also auch mit dem Hassprediger Pierre Vogel?

Das erinnere ich ehrlich gesagt nicht mehr.

Würden Sie ihn auch angesichts der Tatsache, dass ZDF-Chefredakteur Peter Frey den rechtsextremen Thüringer AfD-Chef Björn Höcke zur Persona non Grata erklärt hat, nochmals einladen?

Björn Höcke hat sich selbst zur Persona non Grata erklärt, und auch seine Parteikollegin Alice Weidel neigt dazu, Debatten zu verlassen, wenn sie ihr nicht genehm verlaufen. Aber wenn Höcke bei der nächsten Wahl wieder als Spitzenkandidat der AfD kandidiert, kann man ihn nicht von allen politischen Foren ausschließen. Und was Pierre Vogel betrifft: ich habe ihn und seine Aktivitäten zwar aus dem Blick verloren. Aber auch, wenn wir ihn nicht einladen, bleibt die Frage: wie erreicht und klärt man Leute auf, die Salafisten folgen? Es gibt zwar viele fantastische Reportagen über Islamisten und den IS; doch mich quält die Frage, ob das genug ist oder nicht auch eine offene Auseinandersetzung mit Standpunkten geben muss, die unseren Zusammenhalt gefährden.

Durch Thilo Sarrazins Pamphlet Deutschland schafft sich ab trat interessanterweise genau zur selben Zeit, als Sie Pierre Vogel in der Talkshow hatten, der Rechtspopulismus aus dem Dickicht ins Rampenlicht – mit Sarrazin als Gast aller Talkshows. Bis dahin hieß es immer, Ideologien rechts von der CSU hätten hierzulande keine Chance.

Danach hieß es dann, man dürfe nichts mehr sagen.

Was ist seither noch völlig neu für Sie und den politischen Journalismus?

Als wir angefangen haben, gab es noch ein kollektiv spürbares Bedürfnis, offen miteinander zu streiten. Heute hat sich der Streit ins hinterhältige Gegeneinander verschoben. Die unterschiedlichen Richtungen beschießen sich aus immer tieferen Schützengräben, ohne sich noch begegnen zu wollen. Ich gewinne häufig den Eindruck, in dieser Situation sehnt sich das Publikum einerseits nach etwas weniger Lautstärke in der Auseinandersetzung und ein bisschen mehr Konsens. Gleichzeitig erwartete es in der unübersichtlichen Gemengelange immer „klare Kante“. Das Streiten fünf verschiedener Antipoden auf fünf Sesseln, führt – so nehme ich das Feedback vieler Zuschauer wahr – oft nur noch zu Frustration.

Aber Konsens war doch auch früher nicht die Hoffnung, geschweige denn das Ziel einer politischen Debatte!

Dass der frühe Joschka Fischer sich vom frühen Heiner Geißler vor aller Augen von irgendwas überzeugen ließe, war in der Tat ebenso undenkbar wie ein gegenseitiger Parteiwechsel. Konsens war übrigens vom Publikum damals auch nicht gewünscht. Heute gibt es viel stärker diese Sehnsucht, es möge eine gemeinsame Lösungsorientierung geben. Aber das ist natürlich kaum einzulösen.

Geraten Sie dabei auch persönlich ins Fadenkreuz der Filterblasen?

Das kommt ein bisschen auf die Betrachtungsweise an. Wer alles liest, was geschrieben steht, findet sich dort in meiner Position jeden Tag. Wer sich, wie ich, dazu entschließt, nichts oder nur wenig davon zu lesen, darf sich im schönen Gefühl wiegen, es werde gar nichts geschrieben. Als Team lesen wir natürlich alles und wissen inzwischen, dass „das Netz“ keineswegs eine Art Spiegel der öffentlichen Meinung ist. Deshalb erlaube ich mir eine relativ selektive Wahrnehmung. Aber auch, wenn ich es weniger selektiv wahrnehmen würde, wäre mir bewusst, wie klein die Zahl derer ist, die mich ins Fadenkreuz stellen.

Wobei einen selbst die geringe Zahl mitteilungsbedürftiger Hater emotional nachhaltig anfassen kann.

Nur, wenn man sich anfassen lassen will.

Ist das eine Mentalitätsfrage oder Berufserfahrung?

Es ist eine rationale Entscheidung. Als Sendung sind wir deshalb auf allen wichtigen Kanälen präsent, als Person bin ich es nicht. Umso mehr bewundere ich Kollegen wie Armin Wolf.

Den ORF-Moderator, der wegen seiner klaren Haltung gegen die FPÖ permanent im Kreuzfeuer steht.

Mit welch unerschütterlicher Akribie der sich mit jedem Pöbler einzeln auseinandersetzt, ist nicht nur bemerkenswert; weil sich gezeigt hat, dass viele seiner Kontrahenten dank seiner Offenheit plötzlich zu einem gesitteteren Diskussionsklima zurückkehren, zeigt er auch, dass Konfrontation gut ist. Dennoch fiel meine Entscheidung anders aus, weil ich mich nach Feierabend andernfalls nicht mit meinem Mann und meinem Sohn, sondern auch mit übellaunigen, boshaften Trollen auseinandersetzen müsste. Wer nur pöbelnd Hass verbreitet, ist mir meine Lebenszeit einfach nicht wert. Wer hart, kritisch, aber sachlich bleibt, bekommt eine Antwort.

Wäre das dann ein Ratschlag, den Sie unerfahreneren, also jüngeren Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg in diesen Beruf geben?

Um Gottes Willen – ich kann doch Jüngeren, die in dieser digitalen Welt von Geburt an zuhause sind, in meinem Alter keine klugen Ratschläge über den Umgang mit dem Internet geben! Die finden den Weg durch die Welt der Echokammern vermutlich viel besser als ich.

Aber wenn man Sie doch mal um einen Ratschlag bittet: Wie werden wir der verfahrenen Situation brutalisierter Debatten bloß wieder Herr?

Ganz ehrlich? Mehr aushalten! Wobei natürlich jeder persönlich entscheiden muss, ob er sich so weit in die Auseinandersetzung begibt wie etwa Jan Böhmermanns Initiative Reconquista Internet. Zumal ich besonders bei jungen Leuten, die im Grunde ja 24 Stunden online sind, zunehmend Erschöpfungszustände sehe.

Zählt Ihr eigener Sohn schon dazu?

Zum Glück nicht, er ist knapp 13 und hat erst seit einem Jahr sein Smartphone. Aber durch ihn kannte ich Rezo schon, bevor er in den Schlagzeilen war. Nachdem ich gesehen habe, dass er sich dessen gut 50 Minuten langes Video dreimal angeschaut hat, hab ich mit ihm darüber diskutiert. Mein Argument war, dass „Die Zerstörung der CDU“ zwar in weiten Teilen sehr gut recherchiert ist, aber eine Polemik bleibt, die bewusst gelegentlich die Rückseite des Bildes ausblendet.

Sie versuchen Ihrem Sohn also schon, bevor er Teenager geworden ist, journalistische Grundtechniken beizubringen?

Ich würde eher kommunikative Grundtechniken sagen. Zum Beispiel, dass jeder Information mindestens zwei unabhängige Quellen zugrunde liegen sollten. Schon, um Gerüchte von Fakten unterscheiden zu können. Je früher man das vermittelt, desto besser.

Sieht Ihr Sohn dafür denn noch fern?

Also Ki.Ka hat er noch relativ lange konsumiert, aber mittlerweile ist er im Grunde nur noch auf YouTube unterwegs, also bei Leuten wie Julien Bam, den ich ohne meinen Sohn nie kennengelernt hätte. Interessanter Typ, der auch viel Quatsch gemacht, sich aber auch mit ernsten Themen wie Ausbeutung oder Naturkatastrophen beschäftigt hat, wofür er dann schon mal mit der UNICEF nach Bangladesch fährt. Ich nehme mal an, das ist mit ein Grund, warum er vor Erschöpfung bald wohl keine Videos mehr machen will. Er ist gerade 31 geworden und braucht eine Pause!

Anstrengende neue Welt.

Die aber auch uns alte Journalisten betrifft, weil wir unsere linearen Fernseh-, Zeitungs- oder Radioberichte parallel auf allen Digitalkanälen spielen müssen. Ein Zehnteiler über den Mittelmeerraum etwa, den wir gerade für Arte machen, wird ganz natürlich von einer Web-Serie begleitet. Das muss man alles mitdenken, kostet Kraft und Ressourcen, ist aber journalistisch auch ungeheuer spannend.

Wer Julien Bam und Rezo, aber auch Funk oder modernen ARD-Dokus verfolgt, sieht oft gute Recherchen mit großem Getöse. Ist das der Weg in die Zukunft oder sollten anspruchsvollere Inhalte diese Spirale der Effekthascherei verlassen?

Ich glaube, das ist tatsächlich eine Frage des Mediums. Manche Kollegen, die von klassischen in digitale Medien gewechselt sind, erzählen oft, sie seien automatisch etwas lauter und zugespitzter geworden. Das Ausrufezeichen verbreitet sich online schneller als das Fragezeichen. Aber Rezos Video wäre bei aller Lautstärke sicher nie so hochgekocht, wenn die CDU darauf nicht so hysterisch hilflos reagiert hätte. Dennoch finde ich es schade, dass Rezo sich im Anschluss einer offenen und direkten Auseinandersetzung mit der Partei verweigerte; uns hat er im Übrigen auch abgesagt und ist stattdessen zu Böhmermann gegangen. Ich hätte ihn – gar nicht mal zwingend in der Talkshow – wirklich gern nach seinen Quellen befragt, seiner Recherche jenseits jenes Materials, das er von Tilo Jung verwendet hat.

Hat er sich aus Ihrer Sicht vor der Kontroverse gedrückt oder einfach Ihr Format weniger wertgeschätzt als etwa den Netzhelden Böhmermann?

Das kann ich nicht beurteilen. Er hat einfach nein gesagt.

Wie beurteilen Sie es im Angesicht dieser Gesprächsverweigerung, dass WDR-Intendant Tom Burow Anfang des Jahres das berühmte Umweltsau-Video vom Netz genommen und sich dafür entschuldigt hat?

Soweit ich es verstanden habe, hat nicht er das Video aus dem Netz genommen, sondern sich erst danach eingeschaltet. Dem Gespräch hat er sich nicht verweigert. Ich habe ihn um seinen Job nicht beneidet: einerseits auf echte, empörte Zuschauer zu reagieren, andererseits diese von gesteuerter, rechter Propaganda zu unterscheiden und bei alldem auch an die Kollegen im Haus zu denken. Ein exemplarischer Fall eines kaum mehr beherrschbaren Auflaufs von Erregung.

Sie sind seit mehr als 35 Jahren Journalistin, die allermeiste Zeit davon im Fernsehen. Gibt es bei Ihnen da so etwas wie Ermüdungserscheinungen?

Wenn dem so wäre, würden Sie mich jetzt hier nicht mit Ihnen sitzen sehen Sobald ich Ermüdungserscheinungen habe, höre ich auf.

Und Abnutzungserscheinungen?

Denen habe ich gerade vorgebeugt, indem wir wie gesagt vom großen Disput, den wir jahrelang sehr erfolgreich orchestriert haben, zur kleineren Form gewechselt sind. Es wäre für uns schwierig geworden, diese Form der Auseinandersetzung weiterhin auf die Bühne zu bringen, ohne sich zu wiederholen. Übrigens ist die Arbeit als Produzentin auch gut gegen Abnutzunserscheinungen. Unsere Filme und Dokumentationen liegen mir ebenso am Herzen. Eine gute Ergänzung.

Noch Ergänzung oder schon Abzweigung?

Ersteres! Ich habe noch immer großen Spaß an Interviews und Gesprächen. Wir arbeiten gerade sogar daran, eine Podcast-Reihe zu starten. Fragen Sie mich das also in drei, vier Jahren nochmal, aber im Moment läuft es gut, wie es läuft.

Was ist denn der größte Feind kreativer Inspiration – Routine?

Nicht allein, denn ohne Routine gibt es keine Perfektion. Als ich in den Beruf gegangen bin, hatte ich erstmal nur ein Ziel: Mich nicht immer mit denselben Dingen zu beschäftigen. Solange das gegeben ist, ist immer Raum für Kreativität und Inspiration.

Das Interview ist zuvor im Medienmagazin journalist erschienen
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