Maria Schrader: emanzipiert & Unorthodox
Posted: April 16, 2020 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |1 Comment
Ich sorge mich um alle
Fast 30 Jahre nach ihrem Filmdebüt hat sich die Schauspielerin Maria Schrader (Foto: Netflix/Anika Molna) auch als Regisseurin etabliert. Der beste Beweis: die Netflix-Serie Unorthodox, in dem sie auf brillante Art das Leben von Deborah Feldman nachzeichnet, die aus dem Frauengefängnis chassidischer Juden nach Berlin geflohen ist und dort einen Weltbestseller über ihr Leben geschrieben hat.
Von Jan Freitag
freitagsmedien: Frau Schrader, Unorthodox, die wahre Geschichte einer chassidischen Jüdin, die ihr ultrakonservatives Umfeld hinter sich lässt, ist extrem anrührend, ohne rührselig oder melodramatisch zu sein…
Maria Schrader: Zum Glück! Beide Begriffe beschreiben nämlich Überwältigungsversuche, die bei mir sofort Distanz erzeugen. Wenn aber eine Figur mit aller Kraft versucht, die Fassung zu bewahren, bin ich die erste, die anfängt zu weinen. Die Schauspielerin Shira Haas hat einen erstaunlichen Zugang zu ihrer Gefühlswelt und verleiht der Hauptfigur Esther zugleich Pragmatismus und Willenskraft. Beim Drehen war ich jeden Tag glücklich über unser Ensemble, das wie Jeff Wilbusch teilweise ja tatsächlich aus dieser Community stammt.
Wie wichtig war es dabei, Rituale und Räumlichkeiten einer so abgeschotteten Gruppe, von der nach außen kaum etwas bekannt ist, derart authentisch auszustatten?
Sehr wichtig. Rituale bestimmen den Tagesrhythmus.
Aber kippt die Geschichte nicht schnell ins Oberflächliche, wenn man Äußerlichkeiten so viel Raum gibt?
Im Zentrum dieses Lebens stehen der praktizierte Glaube und die Gemeinschaft. Die privaten Innenräume spiegeln das wider, man findet in ihnen nämlich nicht viel Privates. Es ist erstaunlich und auch beunruhigend, dass diese Gruppe von Menschen inmitten der kapitalistischen Metropole New York nichts von Selbstverwirklichung, Karriere und persönlicher Freiheit wissen will. Die Regeln ihres Lebens bestimmen auch Esther und führen dazu, dass sie keinen anderen Ausweg sieht als zu fliehen.
Mussten Sie selbst jemals so viel Willensstärke aufbringen, um sich von gesellschaftlichen Zwängen zu befreien?
Nein, nicht im Geringsten. Für Esther gibt es nur eine Zukunftsperspektive, nämlich Ehefrau und Mutter zu werden, ohne Ausbildung in ökonomischer Abhängigkeit. Die Probleme in ihrer arrangierten Ehe werden zu einer öffentlichen Angelegenheit, bis Esther diesen Druck nicht mehr aushält. Es braucht großen Mut, alles was man kennt, zurückzulassen. Das liegt weit außerhalb meines Erfahrungshorizonts. Ich bin gegensätzlich aufgewachsen, meine Eltern wollten, dass ich arbeite und unabhängig werde. Es hat ihnen eher Sorgen bereitet, dass ich Ehefrau und Mutter werden könnte. (lacht) Da gab es nur einmal eine Krise.
Welche?
Als ich die Schauspielschule abgebrochen habe und der Liebe wegen nach Berlin gezogen bin.
Zu Dani Levy, mit dem Sie später ihre ersten Filme gedreht haben.
Ja. Im Gegensatz zu Deborah verlief mein Leben also ganz nach den Vorstellungen meiner Eltern.
Das allerdings spätestens in dem Moment mit Konventionen kollidiert sein dürfte, als Sie sich vor zwölf Jahren im männerdominierten Regiefach durchsetzen mussten.
Das klingt als hätte ich Pionierarbeit geleistet (lacht). Es gibt seit vielen Generationen Regisseurinnen, auch wenn sie in der Minderheit sind. Meine erste Regie war nicht leicht, ich bin auf starkes Misstrauen gestoßen, wenn auch nur von einzelnen Personen. Es ist nicht nur eine männerdominierte Branche, sondern auch eine männerdominierte Gesellschaft, in der zumindest ich noch aufgewachsen bin. Aber in den letzten Jahren hat es einen Ruck von Bewusstmachung gegeben, und die Verhältnisse verändern sich, wenn auch langsam.
Sie zeigen sowohl hinter als auch vor der Kamera von Beginn an eine spürbare Affinität zur israelisch-jüdischen Geschichte, die auch diesen Film prägt. Woher rührt diese Faszination?
Als ich mit 14 das erste Mal überhaupt von zuhause weg, habe ich an einem Jugendaustauschprogramm in Israel teilgenommen und dort auch erstmals Theater gespielt. Natürlich ging es auch um deutsch-jüdische Vergangenheit, aber es war vor allem eine Gruppe Jugendliche, ein erster Joint, nachts Musik, man kann sich das ja vorstellen. Es war also nicht die Faszination fürs Judentum, sondern einfach Leute, Normalität. So gesehen hat dieses Programm sein Ziel erreicht. Und so würde ich auch die Impulse für Projekte beschreiben: Aus Begegnungen, Geschichten, Erlebnissen wächst Interesse.
Was durch Ihre langjährige Beziehung zu Dani Levy noch verstärkt wurde?
Wir beschäftigten uns beide mit Identität, Herkunft, Familie. Meschugge zum Beispiel hat das Thema des vererbten Traumas in einem Thriller zwischen New York und Deutschland behandelt. Sicherlich beziehen sich die Angebote, die einem gemacht werden, auch auf vorangegangene Projekte. Die Showrunnerin Anna Winger und ich kannten uns von der Arbeit an ihrer Serie Deutschland 83/86, in der ich mitspiele. Wir hatten schon länger den Plan, auch in dieser Konstellation zusammenzuarbeiten. Sie hat mir das Buch von Deborah Feldman in die Hand gedrückt und die Regie angeboten. Darüber freue ich mich noch heute.
Umso mehr vermutlich, als Sie ihn angesichts weltweiter Kino-Schließungen wegen der Corona-Krise für Netflix gemacht zu haben, oder?
(lacht) Tja, klar. Wenn ich es richtig verstanden habe, wurde schon der Trailer weit häufiger angeklickt als üblich. Die Leute müssen zuhause bleiben, die Streamingdienste profitieren davon. Für das Kino ist es tragisch. Und das betrifft uns alle. Denn viele kommen definitiv in existenzielle Schwierigkeiten.
Sorgen Sie sich da nur um einzelne oder die Branche insgesamt?
Insgesamt um die Branche! Filme können nicht starten, Dreharbeiten werden gestoppt, ohne dass jemand weiß wann es weitergehen kann, für zukünftige Projekte können keine verbindlichen Vereinbarungen getroffen werden. Wenn wir wieder arbeiten können, wird es Staus und Kollisionen von Dreharbeiten geben. Es gibt bereits riesige Verluste, es kann durchaus sein, dass viele Firmen diese Zeit nicht überleben. Ich sorge mich um alle.
One Comment on “Maria Schrader: emanzipiert & Unorthodox”
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Vielen Dank für das Interview, super spannend!