Breitbeinigkeit & Beischläfer
Posted: May 25, 2020 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a comment
Die Gebrauchtwoche
18. – 24. Mai
Mia san mia. Dieser Spruch bayerischer Breitbeinigkeit gilt seit jeher nicht nur in Bierzelten und Fußballclubs, sondern auch im Fernsehen. Schon als es um NS-kritisches Fernsehen wie Holocaust, religionskritische Justiz wie im Kruzifix-Urteil oder einfach grundlegend kritischen Humor wie beim Scheibenwischer ging, hat sich der BR aus dem ARD-Programm geklinkt. Und nun bitte dreimal raten, welcher Landessender ausschert, wenn die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten von Sachsen-Anhalt aus gemeinsam mit ZDF und Deutschlandradio ein digitales Kulturangebot bündelt?
Genau! Genau! Genau!
Vordergründig geht es BR-Intendant Ulrich Wilhelm zwar um irgendwas mit Gebühren. Darunter jedoch steckt fraglos ein gottgewollter Erhabenheitsgestus, der bayerische Medienpolitik seit jeher prägt. Mit dem im Rückgrat endet Loyalität halt gern am eigenen Testosteronspiegel. Der war offenbar auch bei Kevin Meyer gefährlich hoch, als Disneys mächtiger Streaming-Chef parallel verkünden ließ, er werde künftig die chinesische Plattform TikTok leite und gleichzeitig das operative Geschäft des Mutterkonzerns Bytedance.
Vom größten Unterhaltungskonzern freiwillig zum dubiosesten Netzplayer – da muss der Amerikaner aber mal ernstlich in seiner Männlichkeit angekratzt worden sein, Bob Iger doch nicht wie erwartet an der Disney-Spitze zu folgen. Apropos dubiose Unternehmen: der Amazon-Kanal Prime hat am Montag überraschend Werder Bremen gegen Bayer Leverkusen ohne Zusatzkosten von Eurosport übernommen. Klingt banal. Ist es auch. Aber banal mit Folgen fürs Gefüge im künftigen Rechtepoker um Live-Lizenzen.
Die Frischwoche
25. – 31. Mai
Bis dahin darf Amazon mit Sky die englische Geisterspielwoche zeigen, was für den profitfreudigen Versandhändler neueres Neuland ist als Fernsehen. Wie man das vermasseln kann, zeigt er allerdings Freitag in Der Beischläfer. Das Komödienstadl um den bayerischen Autoschrauber Charlie (Markus Stoll), der als Schöffe ans Amtsgericht der süßen Richterin Julia (Lisa Bitter) berufen wird, ist in seiner verschwörungstheoretischen Justizverachtung so blöde, dass selbst der absurde Weltraum-Roadtrip Vagrant Queen tags zuvor auf SYFY oder die intergalaktische Netflix-Sitcom Space Force ab Mittwoch realistischer wirken.
Ein wenig mehr Realismus hätte auch die Joyn-Serie Aus dem Tagebuch eines Uber-Fahrers vertragen. Kostja Ullmann gibt sich zwar ersichtlich Mühe, sechs Taxitouren unterschiedlicher Passagiere durch Hamburg mit authentischer Empathie zu füttern. Das Ausbeutungssystem Uber kommt dabei jedoch nicht mal am Rande zur Sprache. Aber gut – wer reine Sachlichkeit erwartet, sollte vielleicht Dokumentationen wie Rabiat (heute, 22.45 Uhr, ARD) über die bizarre Welt des Rechtsrocks sehen oder den zweiteiligen Blick 1968 auf Die globale Revolte, morgen um 21.45 Uhr auf Arte, sehen.
Trotzdem dürfen Fiktionen mit Wirklichkeitsbezug schon auch mal so wahrhaftig sein wie der Mittwochsfilm Das freiwillige Jahr mit dem großartigen Sebastian Rudolph als Vater einer Tochter, die ihre Provinz partout nicht zur Verwirklichung seiner geplatzten Träume verlassen will. Und auch Staffel 1 des italienisch-britischen Finanzkrisenthrillers Devils mit Patrick Dempsey als Strippenzieher darf ab Donnerstag auf Sky beanspruchen, die Wirklichkeit ebenso zum Maßstab zu nehmen wie der deutsch-schwedische Wirtschaftskrimi Hidden Agenda, dessen acht Teile Neo Freitag um 22 Uhr am Stück zeigt.
Noch was? Ach ja: die Bitte, Oliver Pochers eitler RTL-Late Night Gefährlich ehrlich noch weniger Beachtung zu schenken als Balls – für Geld mache ich alles, inmer Dienstag nach Joko & Klaas. Lieber Wiederholungen der Woche zu sehen. Etwa Michael Hanekes Meisterwerk Das weiße Band übers bigotte Deutschland vorm 1. Weltkrieg von 2009 (Montag, 20.15 Uhr, Arte), um 0.25 Uhr gefolgt vom Schwarzweißklassiker Dieb von Bagdad, der 1924 den unbekannten Douglas Fairbanks zum Weltstar machte. Und der Tatort-Tipp: Das letzte Rennen, Frankfurter Perle mit Sawatzki/Schüttauf von 2006 aus dem Marathonmilieu.