TikTok-Wahlkampf & Berben-Sommer
Posted: August 10, 2020 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a comment
Die Gebrauchtwoche
3. – 9. August
Der Teufel scheißt bekanntlich gerne auf die größten Haufen. Diverse Verschwörungsidiologen in aller Welt mögen Bill Gates gerade als Gottseibeiuns verteufeln, der uns das Blut aussaugen und durch Chips ersetzen will. Nachdem der Microsoft-Gründer die Entwicklung sozialer Medien vollständig verschlafen hatte, greift ihm nun ausgerechnet der wahrhaft Leibhaftige unter die Arme und serviert ihm den Messenger TikTok quasi zum Frühstück.
Dabei hat Donald Trumps Ankündigung, die chinesische Konkurrenz amerikanischer Tech-Konzerne nur noch im heimischen Besitz zu dulden und bei der Gelegenheit nach dem Mobilfunkanbieter Huawai gleich noch Lokalrivalen wie Tencent aus den USA zu verbannen, nichts mit Politik, ja im Grunde nicht mal mit Protektionismus, sondern ausschließlich mit Wahlkampf zu tun. Ein Wahlkampf, in dem er sich nun sogar an Unternehmen liberaler Multimilliardäre ranwanzt – sofern es nicht solche sind, die wie Facebook und Twitter zaghaft ein paar seiner Lügen entlarven.
Dass Donald Gates eine Chance gibt, konterkariert natürlich aufs Absurdeste, mit welcher Innbrunst Trumps 1,3 Millionen deutsche Gesinnungsgenossen vor acht Tagen in Berlin gegen den Computerkönig demonstriert haben. Oder waren es doch fünf Millionen, wie Atilla Hildmann behauptet? Falsch! Der Postillion hat den einzig wahren Wert errechnet: 19 Trilliarden. Doch ob mehr Menschen vor der Siegessäule waren, als dort rechnerisch Platz finden, oder mehr als Moleküle im Universum: die Stars der Talkshowrepublik haben darüber diskutiert – und dürfen das auch weiterhin tun, nachdem die ARD ihre Verträge verlängert hat.
Das mag man beklagen. Angesichts der Macht globaler Medienkonglomerate ist es allerdings ratsam, mit Information zu punkten. Disney zum Beispiel, dessen Aktienkurs vorigen Montag trotz Verkündung katastrophaler Quartalszahlen aufwärts ging. Unter anderem, weil durch die Austragung der NBA-Playoffs im Disneyland weiter Geld in die Kassen fließt. Und weil mit Disney+ ein lukrativer Markenzweig gepflanzt wurde, auf dem die Mutter nun doch den Kino-Ausfall Mulan zeigt. Noch bis Mitte September widmet die ARD dagegen Deutschlands international angesehenstem Regisseur zum 75. Geburtstag eine Werkschau aller Filme von Wim Wenders.
Die Frischwoche
10. – 16. August
Fünf Jahre jünger wird am Mittwoch Iris Berben, wofür ihr das Erste um 20.15 Uhr ein melancholisches Geburtstagsgeschenk macht: Als erfolgsverwöhnte Familienunternehmerin entflieht sie in Mein Altweibersommer dem Alltagstrott und beginnt als verkleideter Zirkusbär zu arbeiten. Zwei Tage zuvor spielt die Jubilarin in Nicht tot zu kriegen eine alternde Filmdiva, die vor einem Stalker beschützt werden muss. Beides ist auf unterschiedliche Art autobiografisch, beides ohne Pathos anrührend, beides allerdings für alle unter 50 womöglich ein bisschen zu bieder.
Aber gut – die gucken ohnehin, wenn überhaupt, dann gestreamtes Fernsehen, dessen Angebot dieser Tage mal wieder recht abwechslungsreich ist. Universal TV etwa zeigt ab Dienstag die Roadtrip-Comedy Upright, Freitag folgt Netflix mit der Scheidungsserie Dirty John und der (realen) kolumbianischen Banküberfallserie Der Jahrhundertraub, während sich (kauft nicht bei) Amazon (Prime) zeitgleich RTL annähert, wenn dort das zehnteilige Abenteuer-Rennen World’s Toughest Race startet.
Der lineare Originalsender beweist auf seinem Ableger RTLzwei tags drauf übrigens Gespür für Suspense und zeigt die atmosphärisch dichte Fantasyserie Taboo aus dem kolonialistischen England vor 200 Jahren. Als Wiederholungen der Woche empfehlen wir bei so viel Geschichte ausnahmsweise zwei Schwarzweißfilme: Montag um 20.15 Uhr reist Arte zurück ins Jahr 1958, als Das Mädchen Rosemarie für Schnappatmung in Wirtschaftswunderland sorgte. Mittwoch (23.30 Uhr) begleitet der BR The Beatles dokumödiantisch durch A Hard Day’s Night von 1964. Und wenn Jack Lemmon am Dienstag um 22.05 Uhr in Ein seltsames Paar (22.05 Uhr, ServusTV) an Walter Matthau gerät, sollten sich das Leute mit akuter Sixties-Nostalgie auch nicht entgehen lassen.