Gewaltfragen & Ballermannboote

Die Gebrauchtwoche

24. – 30. August

Gewalt, das begriff der norwegische Sozialwissenschaftler Johan Galtung schon vor Jahrzehnten, herrscht nicht nur, wenn Kugeln oder Fäuste fliegen, sie kann als „vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse“, also strukturell anstatt physisch verletze. Dem Bedürfnis nach Gesundheit und Überleben zum Beispiel, nach Wohlstand und Wahrheit, von Demokratie ganz zu schweigen.

Wenn diverse Medien vor, während, nach der Querdenken-Demo berichtet haben, die 38.000 – pardon, 38 Millionen Teilnehmenden seien am Samstag friedlich durch Berlin marschiert, zeugt das demnach von einer Ignoranz im Umgang mit den Fakten eines Menschenauflaufs, dessen kollektive Weigerung zu Abstand und Maske plus angedeutetem Reichstagssturm gewaltsam Gesundheit, Überleben, Wohlstand, Wahrheit attackiert haben.

Dafür muss man noch nicht mal nur Faktenfinder zurate ziehen, die saftige Lügen der Lügenpresse-Krakeeler offenbaren. Eindrucksvoll ist auch, wie massiv eine Bild-Reporterin von Querdenkern bedrängt wurde. Das Schwesterblad BamS jedoch hielt der Angriff auf Person und Pressefreiheit nicht davon ab, die Gewaltfrage flugs nach links zu rücken und auf der ganzen Titelseite vom vermeintlichen (und unvollendeten) RAF-Anschlag auf den Schweine-Blockwart Clemens Tönnies zu faseln. Für die Corona-Demo blieb da leider nur ein Hinweis am Rand übrig.

Dafür bekam der geistige Bild– und BamS-Buddy Björn Höcke am Dienstag Gelegenheit, seinen Future-Faschismus beim MDR in Watte zu packen. Eine Offenheit, die der Muttersender hoffentlich nicht meint, wenn er seine Tagesthemen ab morgen um fünf, freitags gar 15 Minuten verlängert. „Für einen intensiveren Blick auf die Regionen“, wie es ARD aktuell-Chef Helge Fuhst ausdrückt, „auf die Heimat unserer Zuschauer“.

Die Frischwoche

31. August – 6. September

Bleibt zu hoffen, dass sich sein ehrwürdiges Format damit nicht der weit weniger ehrwürdigen Konkurrenz von stern TV angleicht, die ab Mittwoch 30 Jahre lang Skandale menschelt oder Menschen skandalisiert. Am selben Tag springt das gebührenfinanzierte ZDF aufs Ballermann-Boot privater Rekordjagden und engagiert den Grüßaugust Elton für die „Quizshow“ Einfach super!, in der Kinder (Fee, Max, Lukas) mit Promis (Neureuther, Lombardi, Santos) irgendwas Egales inszenieren, damit aber mehr Zuschauer als jedes Nachrichtenmagazin erreichen.

Würde man das Publikum entsprechend konditionieren, könnte das auch für die Langzeitstudie des Fuldaer Hochhaus-Ghettos Aschenberg gelten, das ein ZDF-Team monatelang unter die Lupe nahm. Statt Primetime gibt es dafür ab Mittwoch allerdings nur die Mediathek, wo sie sich mit Streamingdiensten von weit größerer Zugkraft messen muss. Prime zum Beispiel zeigt ab heute die vierteilige Doku The Last Narc über einen Drogenboss der Achtziger, begleitet von All or Nothing, das parallel die Tottenham Hotspurts porträtiert.

Na, hoffentlich biedert sich die Fußball-Doku dem Club nicht so an wie Arte zugleich Toni Kroos. Gewiss aber dürfte sie würziger sein als MasterChef Celebrity, womit Sky die globale Kochshow montags auswalzt. Wobei Kochshow: eigentlich ist der Herdstreit eine Dauerwerbesendung für Produkte von Food-Magazin bis IT-Girl. Allerdings keine so plumpe wie Lego Masters, mit denen RTL seinen PR-Partner ab Freitag unverblümt in den Mittelpunkt stellt und damit neben dem (zusatzkostenpflichtigen) TV-Start des Kinofilms Mulan auf Disney+ VIP das PR-Programm der Woche bildet.

Ohne Kaufempfehlung ratsam ist hingegen die Fox-Serie Mrs. America, in der Cate Blanchett ab morgen auf Sky die leibhaftige Anti-Feministin Phyllis Schlafli zur Hauptfigur einer sensationellen Siebziger-Revue macht, bevor Netflix Mittwoch das erste deutsche SciFi-Drama Freaks mit Cornelia Gröschel als Superheldin wider Willen zeigt. Nicht neu, sondern eine Wiederholung der Woche ist dagegen Die Blechtrommel (Samstag, 23.45 Uhr, RBB) von 1979 in Volker Schlöndorffs Director’s Cut. Und in Schwarzweiß: Henri Verneuils Politdrama Der Präsident von 1961, heute um 22.10 Uhr auf Arte.

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