Stahlknechts Reich & Bettys Board

Die Gebrauchtwoche

30. November – 6. Dezember

Der Weg in die Zukunft von Kino und Fernsehen ist bekanntermaßen schwer vorherzusagen, aber Jason Kilar hätte mal eine Idde: Derjenige, „um der Gemeinschaft der Filmtheater das Wichtigste zu geben, was wir ihnen liefern können“, sagte der CEO von WarnerMedia vorigen Mittwoch in New York, sei „einen stetigen Strom neuer und frischer Filme, auf die Kinobesitzer und Zuschauer und sich verlassen können“. Sein Unterhaltungskonzern will nächstes Jahr nämlich alle Produktionen zeitgleich auf Bildschirm und Leinwand verbreiten.

Alle.

Klingt autoaggressiv, ist aber womöglich ein Ausweg, um Blockbuster finanzierbar, ergo: lukrativ zu machen und wirft ein grelles Licht in die schwach beleuchtete Sitzgarnitur deutscher Wohnstuben, wo gerade über den Betrag von 86 Cent eine Koalition zu kollabieren droht. Weil ihm die rechts-braun versiffte AfD nähersteht als der links-grün versiffte Regierungspartner, wurde Sachsen-Anhalts Innenminister – kein Scherz: Stahlknecht entlassen und die Entscheidung über die Erhöhung der Rundfunkgebühr vertagt.

Wenn das mal kein Serienstoff wäre. Allemal innovativer immerhin als die Übernahme fremder Formate, wie es TVNow mit der ARD-Soap Verbotene Liebe tut, Pro7 mit dem RTL-Abenteurer Jenke oder Amazon mit der Pro7-Parodie Binge aka Switch Reloaded. Dagegen erscheint Trumps repetitive Verschwörungsshow auch nach fünf Wochen fast so frisch wie die RTL-Idee, das Dschungelcamp 2021 nur als Castingshow fürs Dschungelcamp 2022 zu inszenieren.

Wirklich neu ist es indes, wie Netflix mit dem Coming-Out von Elliot Page (Umbrella Society) umgeht: dass er sich als Transgender bekennt, war dem Streamingdienst schlichtweg egal. Egal war es dem ZDF Samstag erneut, dass es Julian Reichelts menschenverachtender Bild mit der Übertragung ihrer zynischen Kinderkampagne (hoffentlich?!) kostenlos Werbung geschenkt hat. Zur Strafe für diese Selbstentwürdigung ignorieren wir das Zweite im Frischfernsehen und empfehlen nur Programm der kommerziellen Konkurrenz.

Die Frischwoche

7. – 13. November

Sat1 zum Beispiel, das morgen mit Zerrissen mächtig auf die Tränendrüse drückt. Trotzdem ist das Rührstück mit Alwara Höfels, die ihr verschwundenes Kind Jahre später als Tochter einer anderen (Katharina Wackernagel) entdeckt, relativ anspruchsvoll. Parallel zeigt Sky eine HBO-Serie, die das ZDF allenfalls bei Neo verklappen würde: In Chrystal Moselles Betty kämpfen fünf junge Skateboarderinnen aus New York acht Teile lang hinreißend authentisch um Anerkennung männlicher Platzhirsche.

In der gleichen Altersgruppe spielt Freitag auf (kauft nicht bei) Amazon die Lost-Variante The Wilds. Nachdem ihr Flugzeug vor einer einsamen Insel abstürzt, kämpfen neun Schülerinnen darauf ums Überleben, sind allerdings auch Teil eines bizarren Experiments. An gleicher Stelle startet zugleich die Gangsterballade I’m Your Woman, in der Mrs. Maisel Rachel Brosnahan vorm Vater ihres eigenen Kindes flieht und dem fiktionalen Entertainment ein Stück fesselnder Ereignisarmut hinzufügt.

Das kann man vom Netflix-Musical The Prom mit Nicole Kidman und Meryl Streep ab Freitag nicht behaupten, wäre in dem Genre aber auch ziemlich seltsam. Aus Deutschland wird übrigens auch was Bemerkenswertes gestreamt: In der TV Now-Serie Unter Freunden stirbt man nicht, versuchen Darsteller wie Berben und Lauterbach ihren toten Freund solange frisch zu halten, bis ihm ein Nobelpreis verliehen wird, den es nicht posthum gibt. 

Während der Mutterkanal RTL am Sonntag sein letztes F1-Rennen zeigt und damit die Ära des testosterongetränkten Scheißegal beendet, flutet Pro7 seine Mittwochsprimetime mit der hinreißenden Schnodderigkeit von Jeannine Michaelsen, die in der Show mit dem Sortieren irgendwas ordnet. Die Wiederholungen der Woche sind von heute: Als Das Mädchen in Uniform (20.15 Uhr, Arte) emanzipierte sich Romy Schneider 1958 von Sissi. Als Dr. Kimble Auf der Flucht (20.15 Uhr, Kabel 1) tat Harrison Ford gleiches 1993 mit Indiana Jones. Und der Tatort: Der Spezialist reist zu den Düsseldorfer Cops Flemming/Koch ins Jahr 1996.

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