WDR-Kalauer & ARD-Herren
Posted: February 8, 2021 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a comment
Die Gebrauchtwoche
1. – 7. Februar
Treffen sich fünf Blinde, um über Farbe zu reden… Was klingt wie ein Kalauer aus der Zeit dicker Brillengläserwitze, ist einer aus der Zeit weißer Privilegienverteidiger. Im WDR-Talk Die letzte Instanz saßen fünf CiS-Deutsche der privilegierteren Sorte beieinander und sprachen, kein Witz, über Alltagsrassismus, also etwas, das keine*r von ihnen jemals erleben musste, erleben konnte, erleben wird. Nicht Thomas Gottschalk, der sich schon im Hendrix-Kostüm wie ein Opfer fühlt, und nicht Janine Kunze, die ihre naive Selbstgerechtigkeit mit Zigeuner-Sauce würzt.
Natürlich nicht Jürgen Milski, der Faschismus wohl für ein Modelabel hält, nicht für Micky Beisenherz, dessen Klappe offenbar doch etwas größer ist als seine Moral. Und leider auch nicht für Steffen Hallaschka, der angesichts so kongruenter Ansichten nichts zu moderieren hatte und es deshalb meist bleiben ließ. Na, immerhin gab es einen Shitstorm für alle, der allerdings nicht alle zur Nachdenklichkeit animierte. Und immerhin war Marlene Lufen nicht eingeladen, um ihren besorgten Bürgerinnensermon hinzuzufügen.
Die Frühstücksfernsehmoderatorin hätte den PoC-freien Kartoffelaustausch vermutlich um krude Thesen zur Corona-Krise ergänzt, mit denen sie die 250.000 Follower ihres Insta-Accounts ad hoc verfünzigfacht hatte. Wobei der AfD-affine Angriff auf die pandemische Rationalität nur oberflächlich quergedacht war; untergründig hat Lufen mit ihrer Verdrehung aller Fakten zum Thema Lockdown-Effekte vor allem Werbung für eine Sondersendung zum Thema beworben, die ihr Sat1 heute Abend schenkt.
Diese Propaganda-PR dürfte dem zusehends egalen Kanal aber auch nicht helfen, der digitalen Konkurrenz Quotenpromille abzujagen. Jeff Bezos hat zwar jüngst verkündet, das operative Geschäft der gesellschaftszersetzenden Konsumkrake Amazon zu verlassen, um sich mit ein paar seiner 88 Milliarden Dollar Privatvermögen den eigenen Ruf aufzumöbeln. Aber ein paar der 1,65 Billionen Dollar Börsenwert fließen weiter in Prime Videos, verstärkt aus deutscher Produktion. Geplant sind ein Reeperbahn-Drama oder der nächste dokumentarische Kniefall vom Fußballkonzern Bayern München.
Die Frischwoche
8. – 14. Februar
International Aufsehen erregt Amazon allerdings eher mit Hochglanzserien wie Soul Mates – obwohl und weil die amerikanische Fiktion übers digitale Dating der Zukunft ab heute eher konventionell geraten ist. Das gälte zwei Tage später auch für Paul Greengrass‘ Netflix-Western News of the World – würde Tom Hanks in der Romanadaption kein so furioses Doppel mit der deutschen Systemsprengerin Helena Zengel bilden.
Eine Art Vorgeschichte zu dieser Bürgerkriegserzählung bildet der Berlinale-Beitrag Black 47 (Freitag, 20.15 Uhr, 3sat) um den irischen Exodus nach Amerika im Zuge der großen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts. In die Geisterwelt norwegischer Mythen entführt uns übermorgen die bizarre Krimi-Serie Magnus Trolljäger (23.20 Uhr, NDR), während der schwedische Netflix-Thriller Red Dot tags drauf mit weltlichem Horror spielt.
Und damit zurück zum öffentlich-rechtlichen Angebot aus Deutschland, das ohne die Millionen von Amazon ein ambivalentes Bild abgibt. Dirk Kummers wunderbar leichtfüßige Culture-Clash-Komödie Herren um ein Berliner Toilettenputzteam schafft es, erstmals auf einem Sendeplatz wie dem ARD-Mittwoch fünf Hauptfiguren dunkler Hautfarbe ohne Opfer- oder Täterstatus zu zeigen. Im ZDF ereignet sich dagegen 50 Minuten zuvor, was dort die Regel ist: In Kanzlei Berger übernehmen zwei unterschiedliche Anwältin… chhzzzpüühhh.
Verglichen mit dieser Vorabendstereotypie für Anspruchslose klingt das Konzept einer erotischen Tanzserie fast kreativ – bis Even Closer ab Sonntag verdeutlicht, dass es TV Now ausschließlich darum geht, die erwachende Sexualität der Zielgruppe unter 16 mit schicken Menschen und Massenpop zu triggern. Und Neo? Wildert ab Donnerstag (20.15 Uhr) im Pro7-Publikum und schenkt der braven Janin Ullmann das Beziehungs-Social-Factual Wie lange ist für immer?