Reichelts Penis & Lukes Bäume
Posted: March 15, 2021 | Author: Jan Freitag | Filed under: 1 montagsfernsehen |Leave a comment
Die Gebrauchtwoche
8. – 14. März
Huch, Julian Reichelt, als Bild-Boss qua Amtsdefinition ein misogyner Macho aus dem Mesozoikum männlicher Selbstherrlichkeit – ausgerechnet der soll gegen den weiblichen Teil seiner Redaktion Machtmissbrauch und Mobbing bis hin zur sexuellen Nötigung praktizieren, wie der Spiegel über interne Ermittlungen berichtet, die Jan Böhmermann Freitag zuvor bereits angedeutet hatte? Verrückte Idee! Gilt doch allein schon Reichelt quellendes Brusthaar als Beleg seines feministischen Geschlechterdenkens. Vermutlich haben die ungefickten Bild-Bitches an der Kaffeemaschine also einfach mal wieder zu heiße Klamotten angehabt – was soll ein echter Kerl wie dieser denn dann bitte anderes machen als zuzugreifen?
Umso ritterlicher, dass er sich selbst beurlaubt und den Verleumdern Klagen angedroht hat. Und huch, das englische Königshaus, begründet auf Ausbeutung und Rassismus, soll Vorbehalte gegen Prinz Harrys schlammblütige Frau Meghan hegen? Gibt’s ja gar nicht! Was es nach Oprah Winfreys Interview mit den abtrünnigen Royals gab, waren 30 Prozent Marktanteil für RTL, die Aussicht auf noch zwei Staffeln The Crown und ein Tsunami, der selbst den Brachial-Talker Pierce Morgan mitgerissen hat, nachdem er in seiner ITV-Show Good Morning Britain wie üblich Partei für die reaktionäre Rechte, also Queen und Sun ergriffen hat.
Wobei man Flutwellen auch surfen kann. Der Abgang von Morgan, moralisch verhornt im braunsten Abraum der Yellow Press, wird als bewusster Eklat angesehen, um ein englisches Fox News zu besetzen. Sollte es demnächst ein deutsches geben, stünde der gefeuerte Sky-Reporter Jörg Dahlmann bereit, den nach allerlei Männerwitzen über Spielerfrauen nun ein Sushi-Vergleich zum Verhängnis wurde. Während ihm der deutsch alternative Windfähnchen-Wissenschaftler Hendrik Streeck dank eines RTL-Podcasts mit Chemie-Nobelpreisträgerin Katja Burgard nicht folgen kann, stünde Anna Schneider von der neurechten NZZ als Berlin-Korrespondentin bereit, nachdem sie sich gestern im Presseclub als Fan frauenfreier Volksvertretungen gezeigt hatte. Und Dieter Bohlen wäre seit seinem Abschied von DSDS als Juror eines möglichen Fox-Castings frei.
Die Frischwoche
15. – 21. März
Dessen künftiger Ex-Sender wagt sich heute auf sozialfaktisches Terrain, wenn Henning Baum dort um 20.15 Uhr Hinter den Kulissen der Polizei Reporter spielt. Ulkige, aber irgendwie auch naheliegende Idee des Rot- und Blaulichtkanals. Die Konkurrenz von Sat1 simuliert parallel mit LUKE! Die Umwelt und ich Nachhaltigkeit, die aber spätestens im Reklameblock als Opportunismus entlarvt werden dürfte, wenn für SUVs und anderen Scheißegalkonsum geworben wird.
Auch damit ist also erklärbar, dass Sat1 von Vox auf Platz 5 der Quotenliste verdrängt wurde. Dort läuft schließlich ab Mittwoch die fabelhaft morbide Now-Serie Unter Freunden stirbt man nicht als Free-TV-Premiere. Online startet dagegen heute die fiktionale Istanbul-Studie Paper Lives auf Netflix und setzt damit die Reihe hervorragender Serien aus der Türkei fort. Nicht ganz so hervorragend, immerhin jedoch optisch furios ist die achtteilige Tarantino-Hommage Sky Rojo ab Freitag an gleicher Stelle über drei spanische Edel-Huren auf der blutigen Flucht vor ihrem Zuhälter.
Gleicher Kanal, gleiche Zeit, gewöhnliches Thema: die 1. Staffel der amerikanischen Nanny-Comedy Country Comfort, tags drauf gefolgt von der 2. Staffel Ausgebremst mit Maria Furtwängler als entnervt lustige Fahrschullehrerin bei TNT. Morgen schon beginnt bei Joyn+ die Bostoner Familien-Sitcom The McCarthys. Und dann wären wir auch schon bei Runde drei der Ku’damm-Reihe im ZDF – diesmal im Jahr 1963. Wie immer opulent kostümiert, wie immer ein bisschen frauenbewegt, wie immer arg oberflächenverliebt.