Her Tree, Lou Hayter, Del Amitri

her tree

Der Mensch ist dem Tier vor allem deshalb überlegen, weil er den Mangel an Physis habituell ausgleicht. Da wir mäßig laufen, riechen, springen und sehen, übernimmt unser Werkzeug gewissermaßen die Arbeit der Evolution. Alexandra Cumfe geht sogar noch einen Schritt weiter und macht aus dem Sound der Natur elektronische Musik, die trotz der Bearbeitung im Studio gleichermaßen natürlich klingt und artifiziell, also bei aller Wärme kühl und umgekehrt.

her tree – surrender (official video) – YouTube

Für ihr Debütalbum Don’t try, be beautiful ist die österreichische Klangkünstlerin durch den Wald gelaufen, hat Flora & Fauna nach Zwitschern, Rascheln, Summen, Knirschen, Krachen abgegrast und die analogen Field Recordings so digitalisiert, dass daraus ein poppiger Indie-R’n’B wurde, dem selten anzuhören ist, wann er real ist, wann konstruiert. Unzweideutig human ist dabei nur ihr zerkratzt-schönes Englisch über Allerweltgedanken. Das perfekte Album für den Stadtparkspaziergang

her tree – Don’t try, be beautiful (her tree)

Lou Hayter

Alles andere als naturalistisch, geschweige denn dem Wald entsprungen klingt dagegen das Solodebüt von Lou Hayter, zuvor bekannt geworden als Keyboarderin der kurzweilig modernistischen Londoner Band New Young Pony Club. Ab und zu wehen zwar soulige Bläser durch Private Sunshine, gewürzt mit einem verschwitzten Bass, der den wachsweich verhallenden Gesang ein wenig erdet. Die musikalische Dramaturgie dagegen bedient sich so gierig im Fundus der synthetischen Achtziger, dass die Natur weit jenseits der Studiotüren bleibt.

Lou Hayter – Time Out of Mind (Official Audio) – YouTube

Als würde sie Madonna mit Captain Futures Raumschiff zu einer Party mit dem seligen Prince abholen, als er noch nicht Symbol war, flattert ihr retrofuturistischer Sound durchs Erinnerungsvermögen der Generation X und triggert darin den unsterblichen Bedarf nach aufgeblasenem Eklektizismus. Durchs funkig-virile Time Out Of Mind darf daher durchaus ein breitbeiniges E-Gitarrensolo scheppern, während die Orgel ringsum wimmert. Der Pop trägt wieder Schulterpolster.

Lou Hayter – Private Sunshine (Skint Records)

Hype der Woche

Del Amitri

Und um es hier mal nicht zu übertreiben mit der feministischen Ausgestaltung des Männergeschäftes Musikbranche, kommt hier ein wenig Southern Rock, der auch noch mit dem traditionellem Attribut “ehrlicher” behaftet ist: Del Amitri is back, jene fünf Crossover-Schotten der Neunziger, die den Genremix zum Wesensmerkmal erhoben und damit Bands wie jene des gefühlsduseligen Cowboystiefelträgers Justin Currie hervorgebrachten, die der Männlichkeit mit Hits wie Nothing Ever Happens Verletzlichkeit zugemutet haben, ohne ihnen grundsätzlich am Stärkemonopol zu kratzen. Jetzt erscheint das 7. Album in 35 Jahren. Fatal Mistakes (Cooking Vinyl) klingt wie immer. Und damit klingt es wie immer klug, cool, kernig und auf eine Art emotional, die man auch im Jahr 2021 nicht mögen muss, aber wertschätzen darf.

Del Amitri – It’s Feelings – YouTube

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