Markus Lanz: Talkshow & Pandemie

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Wir kalkulieren nicht mit Krawall

Es ist noch keine sieben Jahre her, da galt Markus Lanz wahlweise als Kasper oder Streber, Nervensäge oder Langweiler. In der Pandemie allerdings hat sich der 52-jährige Südtiroler zur wichtigsten Stimme des Talkfernsehens entwickelt. Ein – vorab im Medienmagazin journalist – veröffentlichtes Gespräch über Sitzordnungen, Krisengewinnler, Katharsis und die Angriffshaltung der Cobra

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Lanz, erinnern Sie sich noch an Der heiße Stuhl?

Markus Lanz: Ja, klar. RTLPlus. Erst Ulrich Meyer, später Olaf Kracht. Die Provokation bestand darin, Politikern harte Fragen zu stellen und dann auch noch auf einer Antwort zu bestehen. Frechheit! (lacht) Später machte Uli Meyer dann Einspruch!, Norbert Blüm gegen Franz Schönhuber – da hat’s richtig geknallt. Einmal ließ er sich von Rainer Langhans das Leben in der Kommune1 erklären und kommentierte die Ausführungen abschließend mit dem Satz: „Ah, verstehe, erst Meditation, dann Penetration.“ Da blieb mir die Spucke weg. Aber das Original blieb Der heiße Stuhl.

Wobei er vom Publikum zumindest anfangs geliebt, vom Feuilleton hingegen verrissen wurde.

Ich spüre, worauf Sie hinauswollen.

Erst geht es um die Sitzordnung. Gibt es bei Markus Lanz auch einen heißen Stuhl, aus Zuschauersicht gleich rechts neben Ihnen?

(lacht) Das mögen manche so sehen. Wobei ich Ihnen Unions-Politiker nennen könnte, die genau dort sitzen wollen. Vermutlich, weil sie ahnen, dass man auf diesem Platz besondere Aufmerksamkeit erfährt.

Dafür aber auch Feuer unterm Hintern vom Moderator.

Als Gastgeber so herumzuzappeln, wie ich das manchmal mache, und dabei immer näher an den Gast heranzurücken, wirkt über den Bildschirm viel zu raumgreifend und verstößt eigentlich gegen jede Fernsehregel. Ich mache das unbewusst, aber ich brauche wohl diese Nähe zum Gegenüber.

Für den Energiefluss?

Vielleicht. Als Friedrich Merz das erste Mal direkt neben mir Platz genommen hatte, war ich beeindruckt von der Kraft, die dieser Mann ausstrahlt. Ich habe ihn dann ein bisschen provoziert und ihm prophezeit, er würde in seiner Partei ohnehin nichts mehr werden, man würde ihn einfach auflaufen lassen. Da schoss er wie eine Kobra nach vorne und meinte: Das wollen wir doch erstmal sehen! Bei Markus Söder vibriert die Luft genauso, ich mag das.

Woher nehmen Sie das Selbstbewusstsein, als gelernter Radiomoderator aus Südtirol ebenfalls die Cobra zu machen, um mit solchen Alphatieren auf Augenhöhe in den Infight zu gehen?

Empfinden Sie das so?

Sie wirken zumindest relativ angstfrei.

Das bedeutet aber keineswegs, keinen Respekt vor Alphatieren zu haben. Das hat auch damit zu tun, dass ich eben nicht der Meinung bin, die erste und zweite Reihe der deutschen Politik bestünde aus Leuten, die es nicht können – ganz im Gegenteil. Da sind viele sehr kompetente Menschen unterwegs, die aber häufig mit Widersprüchlichkeiten zu kämpfen haben, weil sie an bestimmten Stellen völlig quer zu ihrer Partei liegen wie etwa Winfried Kretschmann, der sich, wenn’s sein muss, als Grüner auch schon mal für den Verbrennungsmotor einsetzt. Um sie mit ihren Widersprüchen zu konfrontieren, begebe ich mich gedanklich in einen Tunnel und lasse es dann mithilfe einer gewissen Routine laufen.

Sie machen also nicht in ihrer rotgestrichenen Garderobe 15 Minuten Feueratem, um Kraft für den Kampf zu tanken?

Nein, natürlich nicht (lacht)! Ich treffe die Gäste ganz kurz vorher, dann geht’s direkt los. Interessant ist, dass die Profis unter Druck erst richtig gut werden. Mit Olaf Scholz zum Beispiel ging es vor einiger Zeit um die Cum-Ex-Geschäfte der Hamburger Warburg Bank, natürlich nicht sein Lieblingsthema. Wir haben das vorher angekündigt, und es hätte mich nicht überrascht, wenn eine Absage gekommen wäre. Doch Scholz stellte sich. Das ist nicht nur professionell, sondern zeigt auch, wie ernst er die Dialektik aus Politik und freier Presse nimmt. Die Aufgabe war die größte im deutschen Polittalk.

Nämlich?

Olaf Scholz dazu zu bringen, nicht wie Olaf Scholz zu gucken. Denn dann weiß selbst Olaf Scholz nicht mehr, was Olaf Scholz wirklich denkt. Er ist darin unschlagbar, weiß aber auch wie alle anderen, die bei mir sind, was auf sie zukommt.

Eine Streitkultur am Rande des Krawalls.

Nein, da gibt es offenbar ein Missverständnis über meine Rolle. Die besteht nämlich ganz simpel darin zu klären, was Reden einerseits und Handeln andererseits in der Politik für dieses Land bedeuten. Und wer es mit Floskeln versucht, muss damit rechnen, dass die Nachfrage kommt. Ich habe immer das Gefühl: Profis wie Malu Dreyer, Peter Tschentscher, aber auch ein Armin Laschet schätzen das sogar. Denn die wissen: Da draußen warten Erdogan, Putin, Trump. Es wäre anmaßend und lächerlich zu glauben, dass die mit mir nicht fertig werden.

Kitzeln Sie damit auch das Ego Ihrer Gäste?

Das müssten Sie die Gäste fragen, aber was wir immer wieder gespiegelt kriegen, ist: Ja, die Sendung ist manchmal unberechenbar und deshalb auch gefährlich. Auf der anderen Seite gibt es im deutschen Fernsehen kaum eine bessere Gelegenheit, mal auf so langer Strecke seinen Standpunkt klarzumachen. Ein intensives Gespräch mit Stephan Weil kann locker 40 Minuten dauern. Als ein anderer Gast neulich zu ihm sagte, „ich will sie nicht zu hart kritisieren, aber…“, da antwortete er nur lachend: „Machen Sie ruhig, ich bin hier anderes gewohnt.“ So lässig kann man das auch machen.

Sein Platz war wie bei Friedrich Merz tags drauf gleich rechts von Ihnen. Alice Weidel dagegen saß tags zuvor einen Stuhl weiter. Hat das mit ihrem Geschlecht zu tun? Weniger rauflustig ist sie ja nun nicht…

Nee, das hatte eher mit der restlichen Besetzung zu tun. Sie saß zwischen der Spiegel-Journalistin Ann-Katrin Müller und FDP-Generalsekretär Wolker Wissing.

Wenn man die Sitzordnung der vergangenen sechs Wochen sieht, saßen 21 Männer auf dem heißeren Stuhl, aber nur vier Frauen, die wiederum wohl den Platz neben Ihnen geräumt hätten, wenn Markus Söder oder Wolfgang Schäuble nicht nur per Video zugeschaltet worden wären. Ist das etwa kein geschlechterpolitisches Kalkül?

Wunder Punkt, den Sie da gerade berühren. Ich könnte jetzt sagen, das hat vor allem was mit Aktualität, Persönlichkeitsprofilen, Prominenz und so weiter zu tun. Die Wahrheit ist: es hat vor allem mit den Machtverhältnissen in unserer Gesellschaft zu tun, die nach wie vor mehr Männer als Frauen an die Spitze befördern. Das bedauere ich tatsächlich sehr. Mir sagen zwar selbst Frauen, sie möchten nicht über Quoten besetzt werden; aber wenn ich mir allein unsere Sendung so ansehe, würde ich sagen: vielleicht übergangsweise doch!

Zumal wir jahrtausendelang Männerquoten der Macht hatten, nämlich 100 Prozent.

Genau. Am Ende entscheidet die Redaktion organisch, wer wann kommt und wo genau sitzt. Wenn Sahra Wagenknecht eine gesellschaftspolitische Rollbombe auf den Weg bringt wie ihr letztes Buch Die Selbstgerechten, in dem sie von „Lifestyle-Linken“ spricht, dann ist klar, wo sie sitzt. Dann bauen wir um ein solches Thema herum schon mal die ganze Sendung. Trotzdem zwingt uns die Nachrichtenlage manchmal dazu, noch am Tag der Aufzeichnung Gäste ein- oder wieder auszuladen. Dann entsteht die Sendung beim Senden.

Was Ihre Vorbereitung nicht leichter machen dürfte…

Und ein Grund mehr ist, warum meine Stichwortkarten meistens unbenutzt neben mir liegen. Es hat lange gedauert, bis ich mich das getraut habe, aber ich habe irgendwann kapiert, dass man ein echtes Gespräch ja ebenfalls ohne Karteikarten führt…(lacht) Deshalb missfällt mir auch der Vergleich mit dem Heißen Stuhl. Da war nämlich manches offensichtlich gescripted. Wenn Ihr Eindruck ein anderer ist, akzeptiere ich das, aber wir wollen eben nicht holzschnittartig zuspitzen, sondern differenziert diskutieren. Ich glaube im Übrigen, dass die Leute genau das auch schätzen. Nur zur Erinnerung: Der heiße Stuhl wurde nach knapp 160 Folgen wieder abgesetzt, wir sind bei Folge 1540. Wir kalkulieren nicht mit Krawall.

Andererseits wäre es doch fast schon widernatürlich, wenn ein polarisierender Gastgeber wie Sie mit polarisierenden Gästen wie Merz oder Weidel nicht auch mal aneinander rasselt. Wie finden sie da die Balance zwischen Krawall und Diskurs?

Da haben Sie einen Punkt. Wichtig ist mir nur, dass es irgendwann in der Sendung immer auch den Moment der Erlösung geben muss.

Lanz’sche Katharsis.

Bei der jemand, mit dem ich vielleicht gerade noch im Sparring war, auch Zustimmung erhält. Oder wir lachen gemeinsam, Humor ist ganz wichtig. Und es geht darum, dem Gegenüber klarzumachen: Ich verstehe, was Dich treibt. Jeder hat etwas, das ihn wirklich bewegt. Es geht darum, diese Punkte zu finden.

Punkte oder wunde Punkte?

Egal, es geht um die intrinsische Motivation ihres Handelns. Um es mal mit meiner eigenen Küchenpsychologie zu sagen: Wer das Gefühl hat, gesehen zu werden, wird offener. Jemanden wie Friedrich Merz in die Chauvi-Kiste zu stecken, ist einfach und wohlfeil. Ich finde es spannender, bei aller Kritik, die man an seinen Positionen haben kann, zu zeigen, dass er eben kein Chauvi ist.

Ach!

Das kann man daran sehen, wie respektvoll er hinter den Kulissen mit Frauen umgeht. Und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn sich die Tatsache, dass der Rest seiner Familie aus vier Frauen besteht, nicht irgendwie aufs Weltbild auswirkte, oder?

Privat kein Chauvinist zu sein, schließt allerdings nicht aus, chauvinistische Politik zu machen, die sich bei ihm gerade stark um seinen Kampf gegen das Gendern richtet.

Da macht er sich definitiv angreifbar. Aber interessanter ist die Auseinandersetzung mit ihm doch beim Thema Klimaschutz, wo er unverdrossen behauptet, der Markt regle schon alles – und das, obwohl Joe Biden ausgerechnet den Turbokapitalismus in den USA gerade auf eine Art ökologische Planwirtschaft umstellt. Noch interessanter finde ich allerdings etwas ganz anderes.

Na?

Wie redet man mit Leuten, die im Grunde auserzählt sind? Die jedes Argument bereits kennen und das Gegenargument sowieso? Die also komplett druckfest sind? Deshalb ist der Stuhl neben mir am Ende vielleicht doch entscheidend. Da ist der Druck höher als zwei Stühle weiter, man bringt die Leute auf dem Weg zur Selbstentlarvung zumindest ab und zu aus dem Tritt. Wird im Fernsehen jeden Tag gelogen, dass sich die Balken biegen? Auch nicht mehr als woanders… (lacht). Aber wenn es zumindest gelegentlich mal einen Augenblick der Wahrhaftigkeit gibt, freue ich mich.

Haken Sie in solchen Augenblicken Strichlisten ab, welche Politiker sich mit welcher Sache selbst entlarvt haben?

Keine Strichlisten, aber eine Form professioneller Genugtuung, wenn sich zeigt, dass jemand rumeiert wie Friedrich Merz zuletzt bei Fragen zu Hans-Georg Maaßen. Übrigens interessant, wie unterschiedlich die Leute reagieren, wenn sie unter Druck geraten. Olaf Scholz zum Beispiel wird dann plötzlich lustig oder nennt Friedrich Merz einen Waschlappen. Solche Kleinigkeiten erzählen was und zeigen den Zuschauern, wen genau sie eigentlich wählen.

Wobei Sie das im Grunde gar nicht als Moderator, sondern Interviewer tun.

Lieber wäre mir noch: Gesprächsleiter.

Ihr Kollege Micky Beisenherz hat Sie in der Süddeutschen Zeitung „Deutschlands schönste Grillzange“ genannt.

Schreiben Sie so was im Jahr 2021 mal über eine Frau! Das gäbe direkt Ärger – und zwar völlig zu Recht.

Ist in ihrem Fall aber gleich doppelt schmeichelhaft.

Als jemand, der seit Jahren schon interessante Formulierungen von Journalisten und in wachsender Zahl auch von Journalistinnen sammelt, fand ich es vor allem einfach lustig und originell.

Gelegentlich verheddert sich die Grillzange jedoch in der glühenden Kohle. Immer dann nämlich, wenn Sie hart fragen, aber die Antwort mit Nachfragen unterbrechen und den Gesprächsfluss so stoppen. Ist das Ihrer Anspannung geschuldet?

Nein, das ist Inkompetenz.

Sie kokettieren.

Leider nicht. Ich bin wie eingangs erwähnt mit meiner Art zu reden, zu gestikulieren, zu sitzen, zu sein fürs Fernsehen eigentlich völlig ungeeignet. Um noch ein bisschen damit weitermachen zu dürfen, muss ich mich daher gelegentlich selbst überprüfen.

Durch intensives Videostudium Ihrer Sendungen?

Im Gegenteil: ich sehe mir nichts von mir an, niemals. Ich ertrage das nicht. Wenn ich irgendwo auftauche, schalte ich sofort um.

Weil Sie etwas sehen, das Sie nicht an sich mögen?

Zum einen, weil ich mir die Erinnerung an die Situation nicht kaputt machen möchte. Vor allem aber, weil ich mich nicht kontrollieren will. Wie sehen Sie mich denn am Bildschirm?

Sie haben so was Raubkatzenartiges, immer zum Sprung bereit, dadurch aber auch auf gelegentlich unangenehme Art nervös, beinahe gehetzt. Dazu ihr abgeknickter Zeigefinger, mit dem Sie auch jetzt hier im Interview gerne fuchteln…

(lacht) Immerhin abgeknickt, nicht ausgestreckt. Die ehrliche Antwort ist: das mit dem ausgestreckten Zeigefinger hab‘ ich mir bewusst abgewöhnt. Über alles andere denke ich nicht nach und übe schon gar nichts ein. Wer anfängt, sich zu beobachten, fängt bald an, sich zu kontrollieren. Und um ein Modewort der Selbstoptimierungsgesellschaft zu benutzen: dann ist man nicht mehr bei sich oder, schlimmer noch, authentisch. Wer ständig seine eigene Projektionsfläche ist, wird irgendwann auch sein eigenes Klischee. Das möchte ich nicht. Meine Mutter sagte früher allerdings öfter zu mir, Junge, leg doch deine Stirn nicht immer so in Falten. Inzwischen hat sie aufgegeben.

Typische Klugscheißer-Mimik.

Aber auch die ist nicht antrainiert, ich kann das nur so. So guckte auch schon mein Vater. Am Anfang meiner Karriere dachte ich gar, die schmeißen mich deswegen raus – verrückt! Wenn man nicht ist wie Thomas Gottschalk, nämlich die völlige Abwesenheit von Komplexen, dann hilft nur eins: sich mit Anlauf an dieser Diskussion vorbei ins Wasser werfen. Sonst kommt man ins Grübeln und verliert den Spaß.

Sie haben Spaß an Ihrer Sendung?

Ja, was denn sonst? Sonst würde ich das Ganze doch nicht machen! Wer wie ich seine Eigenarten und Marotten vor der Kamera ausstellt, macht sich angreifbar, am Ende also verletzlich. Hätte ich dabei keinen Spaß, würde ich mir das ersparen, glauben Sie mir.

Aber wie verhindert man, dass Ihre Art – also alles von den Marotten bis zur unterbrechenden Hartnäckigkeit – selbstreferenziell wirkt?

Indem ich vorher darüber nachdenke, an welchem Punkt ich mir beides besser verkneife. Mit Schaum vorm Mund einen AfD-Vertreter zu zerlegen, kann böse nach hinten losgehen. Das ist erwartbar, vielleicht sogar ein bisschen billig. Mein Partner Markus Heidemanns ist nicht nur in dieser Hinsicht sehr, sehr wichtig für mich. Wir tauschen uns oft darüber aus und versuchen, wann immer es geht, gegen das Klischee zu bürsten. Deshalb war das Gespräch mit dem FDP-Generalsekretär aus meiner Sicht sogar härter als das mit Alice Weidel in derselben Sendung.

Weil der sich als Liberaler neben einer Rechtsradikalen vor Angriffen sicherer fühlt?

Vielleicht. Seiner Lockdown-Kritik konnte der Epidemiologe Timo Ulrichs einfach sehr fundiert widersprechen. Was Alice Weidel angeht: Ich würde Ihrer Einschätzung widersprechen. Frau Weidel ist sehr widersprüchlich: politisch extrem konservativ, privat ganz anders. Und, ja, sie hat Sachen gesagt, die klar rassistisch und nicht akzeptabel sind. Aber ist sie wirklich eine Rechtsradikale? Was sie macht, ist: Sie setzt mit voller Absicht Punchlines, um zu provozieren. Und wenn es sich dann im Kreis dreht, werde ich so nervös, wie Sie es gerade geschildert haben. Wer Sendezeit verschwendet, macht mich ungeduldig.

Gibt es Momente, in denen Sie es sich verbieten, sich einfach mal locker zurückzulehnen und damit Druck vom Kessel zu nehmen?

Ja, die gibt es, denn manchmal möchte man sein Gegenüber nicht in Sicherheit wiegen. Die Momente, in denen ich ruhiger werde, sind die, in denen jemand ein Argument vorträgt, das ich so noch nie gehört habe. Dann höre ich einfach erst mal entspannt zu.

Haben Sie beim Gegenüber eine Präferenz zwischen Raufbold und Gesprächspartner?

Das ist zwar ein bisschen tagesformabhängig, würde aber auch wieder unterstellen, mir ginge es um den Krawall, nicht die Sache. Vielleicht so: Als Kind kleiner Leute werde ich manchmal etwas ungeduldig, wenn Kinder größerer Leute zu abgehoben, zu selbstreferentiell, zu sehr aus dem Elfenbeinturm heraus argumentieren.

Sagen Sie deshalb Dinge wie „das interessiert mich jetzt als Bürger dieses Landes“?

Ja. Ich habe darüber viel gelernt auf meinen Reportage-Reisen. Vor allem 2016 in die USA, kurz vor der Wahl Donald Trumps. Da wurde allen, die dabei waren, das erste Mal wirklich klar, wie tief die Gräben zwischen Arm und Reich, aber auch zwischen Stadt und Land und vor allem zwischen Gebildet und Ungebildet mittlerweile sind. Ein Jahr später bin ich dann auf einer Reise durch Deutschland zu meinem großen Erstaunen auf ähnliche Phänomene gestoßen. Wer das als Journalist nicht versteht, verliert den Anschluss an die eine oder andere Seite. Das will ich um jeden Preis vermeiden.

Haben Sie bei Subjekten der Macht wie dem Intensiv-Pfleger Ricardo Lange daher größere Beißhemmungen als bei Objekten wie Friedrich Merz, der Ihnen drei Stühle näher saß?

Einen Friedrich Merz muss man schon deshalb härter angehen, weil er sonst unter Umständen zu lange redet… (lacht) Im Ernst: Merz ist medialer Vollprofi, der eine Nebelkerze nach der anderen wirft, wenn man nicht aufpasst. Dem begegne ich natürlich anders als einem Mann wie Ricardo Lange, der nicht jeden Tag vor einer Kamera sitzt. Mich hat bewegt, was er berichtet hat, ehrlich und direkt. Den eigentlichen Gänsehaut-Moment hatte ich aber nach der Sendung, als er erzählte, dass manche COVID19-Patienten noch im Sterben behaupten, Corona sei nur eine Erfindung.

Puh… Diskutieren Sie lieber mit Laien oder Profis?

(Schweigt lange)

Anders gefragt: Wo spielen Sie Ihre Kernkompetenzen besser aus – im mitfühlenderen Gespräch wie einst Kollege Beckmann oder im investigativeren wie jetzt Kollegin Will?

Idealerweise spielt man in meiner Position die ganze Klaviatur und vermeidet dabei, bloß Erwartungen erfüllen zu wollen – entweder als harter investigativer Hund oder als sanfter mitfühlender Menschenversteher. Das Gleiche gilt allerdings für meine Gäste. Ich will in jedem Fall etwas erfahren. Von wem genau, ist dabei gar nicht so entscheidend. Jeder hat eine Geschichte.

Erinnern Sie sich noch an jene Hinrichtung, durch die Ihre Sendung von der gefälligen Plauderei mit Wendler-Effekt zur konfrontativen Talkshow mit politischen Topstars wurde?

Falls Sie Sarah Wagenknecht vor sieben, acht Jahren meinen: das war keine Hinrichtung.

Dafür alle gegen eine und nicht durchweg über der Gürtellinie.

In der Presse war sogar von „Blutrausch“ die Rede! Aber wer sich die Sendung heute ansieht, wird sie womöglich für vergleichsweise unspektakulär halten. Der damalige Stern-Chef Ulrich Jörges war vielleicht wirklich etwas auf Krawall gebürstet, aber ich mochte Frau Wagenknecht damals, ich mag sie heute, wir haben uns nach der Sendung bei aller Irritation die Hand gegeben. Sie gehört zu den wenigen, die man zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen könnte, und sie würde zu fast allem etwas wirklich Fundiertes beitragen können.

Sie sind ja richtiger Fan!

Eher voller Respekt für Ihre Sachkenntnis und Recherchen, aber auch für ihre Gabe, wirklich gute Texte zu schreiben und Dinge auf den Punkt zu bringen. Die Sendung, die Sie beschreiben, fiel übrigens in die Zeit, in der es ohnehin sehr en vogue war, mir wegen Wetten, dass…? so richtig eins überzubraten. Sahra Wagenknecht hat da nicht mitgemacht, weil sie zunächst mal unvoreingenommen an Dinge herangeht.

Gleichwohl hätten Sie damals das sein müssen, was Ihnen weit weniger liegt, nämlich Moderator zwischen Jörges und ihr.

Stimmt. Aber mein Punkt war die Präambel des linken Programms. Darin stand sinngemäß, die EU sei eine Militärdiktatur. Das als Partei zu behaupten, die mit ihrer eigenen diktatorischen Vergangenheit nie richtig aufgeräumt hat, habe ich ihr vorgehalten. Was dann folgte, war – übrigens auch mit Blick auf Gleichberechtigung: eine Frau gegen zwei Männer – sicher nicht das Innovativste, was wir je gemacht haben. Aber interessanterweise flog dieser EU-Satz kurz darauf klammheimlich aus der Präambel.

Macht Markus Lanz Politik?

Nein, aber es wäre doch toll, wenn das gute alte Fernsehen öfter mal wirklich etwas bewirken könnte. Damals erschien mir das so – und das auf dem Höhepunkt meines Tiefpunktes.

Wenige Wochen später war der dann damit vollendet, dass Sie mit Wetten, dass…? ein bundesdeutsches Kulturgut beerdigt haben. Was hat der Entertainer davon mit in den Hauptberuf als politischer Journalist genommen – eine gewissen Shitstorm-Resilienz?

Vermutlich. Es gab Schlagzeilen, die waren echt hart. Die härteste lieferte wenig überraschend die Bild-Zeitung: „Halt die Fresse, Lanz!“

Na ja, die Bild-Zeitung

Was es nicht weniger verwerflich macht. Das war Steinigung vom Sofa aus. Wer solche Erfahrungen macht, wird in beide Richtungen misstrauisch. Lob und Tadel, das habe ich gelernt, sind immer ebenso subjektiv wie vergänglich und nähren das Bedürfnis, den Durchschnitt zu leben.

Heißt das, Sie wollten einerseits vom Streber-Image weg, dass Ihnen als Talkshowmoderator anhaftete, andererseits vom Kasper-Image der Samstagabendshow, um ein wenig feuilletonistischer zu werden?

Unterbewusst vielleicht. Von da an wollte ich jedenfalls seltener Kompromisse machen, sondern mit dem Erfolg haben, was ich wirklich machen möchte – notfalls um den Preis, aufzuhören. Ich habe mir irgendwann mal vorgenommen, mit 50 als Skilehrer für fitte Senioren in den Dolomiten zu arbeiten; das war damals näher denn je. Jetzt bin ich knapp über 50 und denke, Gott sei Dank habe ich es nicht gemacht. Ich hätte sonst die besten Jahre meines Lebens verpasst.

Müssen Sie sich manchmal kneifen, um zu glauben, dass Sie vom Publikum grad gleichermaßen gewürdigt werden wie vom Publikum?

Schon (lacht). Eigentlich muss man sich im Fernsehen immer entscheiden, ob man vom Feuilleton oder vom Publikum gemocht werden will. Deshalb löste eine gute Kritik in der Süddeutschen früher bei RTL oft Alarm aus, nach dem Motto: Vorsicht, die finden das gut, wir werden bald abgesetzt… (lacht). Und umgekehrt galt: je schlechter die Kritiken, desto besser die Quote. Dass bei uns momentan beides möglich zu sein scheint, hat aber deutlich mehr mit dem Krisenkontext zu tun als mit meiner vermeintlichen Begabung, Massen- und Hochkultur miteinander zu versöhnen. Außerdem ist Fernsehen wie kaum ein anderes Feld Teamwork. Beim Radio war ich damals auf mich selbst zurückgeworfen, also alleiniger Herr des Verfahrens. Markus Lanz ist ohne Team gar nichts; deswegen sage ich in der Sendung auch meistens „wir“ und nicht „ich“.

Dass sollten Stürmer nach sechs Toren im Finale auch sagen…

Trotzdem ist es mehr als eine Höflichkeitsfloskel. Als Team machen wir ja nicht nur gute Zeiten gemeinsam durch, sondern auch die harten. Es gab Moment, da musste man sich mehr oder weniger dafür entschuldigen, bei mir zu arbeiten. Deswegen freut es uns alle, dass sich der Wind irgendwie gedreht hat. Die Redaktion versorgt mich perfekt mit Dossiers aus einem dicht gesponnenen Netzwerk heraus, die ich für eine optimale Vorbereitung brauche.

Ein bisschen vom früheren Streber ist also noch vorhanden.

Ach Streber – Sie würden es mir doch noch viel mehr vorwerfen, wenn ich dreimal pro Woche schlecht vorbereiteten Schrott abliefern würde. Im Grunde basiert das ganze Geschäft noch immer auf der alten Showbusiness-Weisheit von Rudi Carrell: Wenn Du ein Ass aus dem Ärmel ziehen willst, musst Du vorher eins reinstecken.

Sie machen Showbusiness?

Mit Informationen, die meine Redaktion und ich wirklich aufsaugen. Wir sind Faktenfresser, die ihre Köcher mit möglichst vielen Pfeilen füllen. Im Unterschied zu Formaten geschätzter Kollegen wie Maybrit Illner oder Frank Plasberg, deren Konzepte auf exakter Orchestrierung beruhen, feuern wir aber nicht zwingend alle ab, sondern lassen es situativ wachsen.

Passt Markus Lanz also deshalb so gut zur Pandemie, weil auch die keinem Konzept zu folgen scheint, sondern ihr Wesen manchmal minütlich verändert?

Der Gedanke gefällt mir.

Sind Sie ein Krisengewinnler?

Das Wort würde ich angesichts dieses globalen Desasters wirklich gerne vermeiden. Wir alle haben in dieser Pandemie verloren. Aber die hohe Frequenz unserer Sendung hat uns sicher dabei geholfen, größere Bedeutung zu erlangen. Im Grunde funktionieren wir eher wie Netflix-Serien, die mit Cliffhangern von Folge zu Folge gehen, deren Inhalt sich komplett wandeln kann. Ein gutes Beispiel dafür ist Karl Lauterbach. Wir haben uns früh entschlossen, Experten wie ihn konsequent zu Wort kommen zu lassen.

Wann genau?

Ende Januar 2020, eine Sendung mit SPD-Schwerpunkt, in der er auf die Bemerkung eines Gastes hin, das neue Virus aus China werde uns nicht so richtig betreffen, plötzlich meinte: Da muss ich massiv widersprechen, das wird ein Fiasko. Da schluckten erstmal alle – auch im Publikum.

Publi… was?

Echte Menschen im Studio (lacht). Daran kann man sich kaum noch erinnern, oder? Dass wir seither ohne Zuschauer senden, hat übrigens etwas sehr Nachhaltiges bewirkt: Den populistischen Ausfallschritt für den schnellen Applaus traut sich heute kaum noch einer.

Aber sie werden, sobald es möglich ist, wieder vor Publikum talken?

Ganz ehrlich? Keine Ahnung! Aber ich persönlich würde es lassen. Die Stille im Studio hat die Sendung intensiver gemacht. Und ich glaube, es hat uns dabei geholfen, eine Instanz zu werden, die kurz vor Mitternacht noch einmal das oft verwirrende Geschehen des Tages einordnet.

Sind Sie mit dieser Sendezeit also zufrieden oder sehnen sich wie alle Entertainer nach der Primetime?

Ehrlich gesagt, nein. Ich habe mich – auch nicht vor, nach oder während Wetten, dass…? – je danach gesehnt, um Viertel nach acht die Showtreppe runterzulaufen. Schon deshalb fühle ich mich am späten Abend so gut aufgehoben. Einzige Einschränkung: Wir werden da manchmal unglaublich herumgeschoben. Es kann sein, dass wir an einem Dienstag um 22.45 Uhr anfangen und am Dienstag darauf zehn vor zwölf. Diese sehr spezielle ZDF-Schnitzeljagd sorgt nicht nur bei der Redaktion gelegentlich für Frust, sondern auch bei denen, um die es geht: den Zuschauern. Wer eine Sendung kaputtprogrammieren will, nimmt ihr jede Verlässlichkeit. Ich würde aber andererseits vermuten, dass das ja eigentlich nicht gewollt ist.

Auch der Hauptabend wird halt von Aktualität geprägt…

Trotzdem kriegen die Kollegen im Ersten komischerweise ein verlässliches Sendeschema hin. Ähnliches gilt übrigens für Dokumentationen, für die die Autorin Silke Gondolf, das Kamerateam und ich oft viele, viele Wochen arbeiten und auch hohe gesundheitliche Risiken eingehen wie jüngst in Schweden. Diese Dokus laufen meist sehr erfolgreich, und viele Zuschauer fragen sich: Warum sendet man so etwas nachts um halb zwölf, während um 20.15 Uhr der Currywurst-Test läuft? Ich habe keine Antwort darauf.

Vielleicht, weil jüngere Menschen Ihre Sendung ohnehin in der Mediathek sehen?

Mag sein. Aber ehrlich: Da könnte man sich dann ja auch den Currywurst-Test anschauen. Warum sind eigentlich immer wir die aus der Mediathek?! (lacht)

Zitieren Sie da gerade aus Debatten mit der Programmdirektion?

Das haben Sie gesagt. Aber letztlich sind wir wie Wasser und finden unseren Weg zum Publikum.

Dasselbe gilt, um ein letztes Mal Wetten, dass…? anzusprechen, für Thomas Gottschalk. Können Sie sich vorstellen, wie er irgendwann wieder Radio zu machen, womit sie einst ja angefangen haben, bis Sie ihr Sender in Hamburg dafür rausgeschmissen hat, unangemeldet Ihren Protestsong „Fuck Chirac“ gespielt zu haben?

Wir liebäugeln zumindest mit dem artverwandten Thema Podcast. Zumal unsere Sendung in Struktur, Zusammensetzung und Länge abzüglich der Bewegtbilder gar nicht so weit davon entfernt ist. Wir entwickeln zurzeit eine charmante Idee mit Richard David Precht.

Also nicht Radio Südtirol?

Nee. Irgendwann werde ich die Studiotür verlassen und nie wieder zurückgehen, um etwas völlig anderes zu machen.

Ökobauer auf der Seiser Alm?

Sie lachen, aber das ist konkreter als Sie denken. Vorher will ich aber noch was anderes sein: Reporter. Einfach nur Reporter.

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