BĘÃTFÓØT, Dÿse, Weil
Posted: September 17, 2021 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |Leave a commentBĘÃTFÓØT
Das Einfrieren der vergangenen 18 Monate, dieses sedierte Warten auf Tauwetter, unterbrochen nur vom Gebrüll halb- bis hartrechter Realitätsverweigerer und gelegentlichem Startkregengewitter, der anderthalbjährige Stillstand also hat den Vernunft- und Empathiebegabten von uns schmerzhaft vor Augen geführt, wie wichtig Eskalation ist. Ausrasten, Selbstentfesslung, am besten bei der passenden Party – die ein Plattendebüt nun mit dem zugehörigen Soundtrack versorgt: BĘÃTFÓØT. Was genau das israelische Trio aus Tel Aviv macht?
Alles! Etikettiert mit Garagenacidpunk und bei Bedarf noch einer ganzen Reihe weiterer Attribute von Big Beat über Triphop bis Elektrotrash. Als hätten Alec Empire, The Prodigy und Skrillex ihr gesamtes Equipment auf ein Hochhaus geschleppt und von dort auf einen Plattenbausiedlungsrave gekippt, beschleunigen Udio Naor, Adi Bronicki, Nimrod Goldfarb ihr selbstbetiteltes Debüt vom ersten bis 13. Track mit irren Samples, wirren Synths und androgynisiertem Scooter-Geshoute, bis/dass es scheppert. Bruder Puder – was für ein Fanal!
BĘÃTFÓØT – Beatfoot (Life & Death)
Dÿse
Und weil sich Stillstand zuletzt wie Sterben anfühlte, weil Unruhe grad die Lösung vieler Probleme zu sein scheint, weil wir alle jetzt echt einfach mal genug Monotonie, Gleichklang, Eintönigkeit hinter uns haben, geht es an dieser Stelle um das musikalische Gegenteil von alledem und damit die beste DIY-Noise-Band aller Zeiten, mindestens. Schlagzeuger Jarii und Gitarrist Andrej, die gelegentlich klingen wie sechs Gitarristen und zwölf Schlagzeuger, veröffentlichen heute ihr erstes Album seit vorvorvorpandemischer Zeit und wir sagen an dieser Stelle einfach mal Danke Dÿse.
Danke für eure jazzig verschrobenen Mathrock-Sinfonien, die den hirninternen Rechner verlässlich runter- und wieder rauffahren. Danke für euer selbstironisches Pathos, das alle Virtuosität mit Gaga-Poesie erdet. Danke für euren Humor, der die zugehörige Tour hoffentlich bald wieder zur Punkrockcomedysauna macht. Danke für den Tinnitus, den man sich beim nächsten Konzert im Hafenklang redlich verdient haben wird. Danke, so dermaßen hochkomplexe Musik im Mitgefühl heiterer Gelassenheit verabreicht zu kriegen. Danke für die Widergeburt.
Dÿse – Widergeburt (Cargo)
Weil
Mit dem singenden Schauspieler Anton Weil könnte man sich abgesehen vom Standort Berlin nun wirklich nicht weiter von Dÿse und BĘÃTFÓØT entfernen. Wenigstens wenn sich die Oberfläche des neuen Sterns am regenverhangenen Düsterpophimmel über den Hintergrund seines Debütalbums schiebt. Durchweg angedickt mit kleckerndem Autotune und melodramatischem Trap, klingt Groll seltsam berechenbar nach Chartsattitüde, ein bisschen Gangsterrap ohne Knarre, Sexismus und Mackergehabe. Wären da nicht die Texte.
Mit Zeilen wie “auf jeden ersten Mai folgt ein weiterer zweiter Mai / an dem es gleich scheiße bleibt”, also: “egal, viel Steine ich auch schmeiß / alles bleibt hier gleich” bringt Weil das Lebensgefühl seines Kreuzberger Heimatkiezes zum Ausdruck, zumindest all jener, die sich vom Bundestagswahlkampf wenige Kilometer und doch Lichtjahre entfernt nicht einlullen lassen. Groll ist das, wonach es klingt: unzureichend betäubte Wut über die Verhältnisse, angemessen vertont mit kriechenden Beats und zähfließender Poesie. Zum Runterkommen, zum Aufbrausen.
Weil – Groll (Broken Hearts Club)