Ibibio Sound Machine, Get Well Soon, Bodi Bill

Ibibio Sound Machine

Kennt irgendwer noch Amanda Lear oder Grace Jones? Als androgyn-feministische Stilikonen haben sie den männerdominierten Pop der Siebzigerjahre mit einer diffusen Sexualität variiert, deren Bedeutung heute kaum zu überschätzen ist. Oberflächlich betrachtet sind beide zwar nur marginal mit Ibibio Sound Machine vergleichbar. Aber nur mal rein hypothetisch: hätte Grace Lear auch nur einige der musikalischen Mittel des Londoner Disco-Kollektivs besessen – ihr Dancefloor stünde noch immer in Flammen.

Mit seiner virilen Mixtur aus Afrobeat und Electroclash dampft das neue Album Electricity förmlich aus den Boxen und verbietet sich störende Nostalgie. Zappelige Drums, Synths und Fanfaren wie im heillos überfrachteten, aber gut strukturierten 17 18 19 treiben den eklektischen Futurefunk der siebenköpfigen Band um Sängerin Eno Williams zwar zuweilen leicht hektisch vor sich her. Sie bleiben aber angenehm frei von störendem Folklorismus – und herrlich dick aufgetragen. Wie einst bei Amanda Jones.

Ibibio Sound Machine – Electricity (Merge Records)

Get Well Soon

Und wo wir grad bei dick aufgetragener Opulenz sind: Get Well Soon haben ihr, besser: hat sein neues Album rausgebracht. Mit Glockengeläut, das zum Himmel weist, Bläsersequenzen der Bigband-Ära, Chorälen am Rande des Sakralen und Geigenteppichen flauschig wie Flokatis zur Jarvis-Jocker-Gedächtnis Stimme, platzt Konstantin Gropper aus der Isolation seines Mannheimer Studiokellers und bläst Pandemie oder Kriege in sinfonischer Orchesterstärke aus den Köpfen. Was ein bisschen seltsam ist.

Denn Amen, so heißt die sechste Götterdämmung aus Groppers Multiinstrumentarium, ist katastrophal im Sinne einer Antwort auf all jene Weltkrisen, die er akribisch auflistet, dann aber mit misanthropischem Optimismus zum Schweigen bringt. Verglichen mit The Horror von 2018 ist unsere Zivilisation zwar noch näher am Abgrund. Doch was macht Get Well Soon? Feuert aus allen Rohren seines Überwältigungspops auf beginnende Resignationen und schafft damit nicht weniger als die Platte des Frühlings schlechthin.

Get Well Soon – Amen (Virgin)

Bodi Bill

Und damit hier nicht alles nur auf die elektroeklektizistische Zwölf drischt, noch etwas digitaler Sound ohne den Anspruch größtmöglicher Selbstüberfrachtung: Bodi Bill sind zurück. Drei Jahre, nachdem das Berliner Lowtech-Trio zur absoluten Unzeit seine Reunion feierte, kommt das fünfte Album raus. I Love U I Do klingt zwar bescheuert, ist aber Ausdruck wechselseitiger Sehnsüchte von Band und Fans, die viel zu lange unerfüllt geblieben sind.

Ihr verschroben feiner Alternative House tänzelt wie früher durch drollige Samples und öligen Gesang, der nichts weiter sein will als ein zusätzliches Instrument zur klanglichen Vielfalt, dabei aber die Grenzen zum Po überwinden möchte – und damit sogar erfolgreich ist. Stücke wie Self Improvement oder Loophole Traveling schaffen es schließlich spielend, Glitzerdisco und Kellerclub zu versöhnen. Cheezy manchmal, zugegeben. Aber auf sehr würzige Art käsig.

Bodi Bill – I Love U I Do (Sinnbus)

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