Daniela Hoffmann: Julia Roberts & Gaslit

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Hello, I’m your voice, oder wat?!

Wer Julia Hoffmann berlinern hört, ahnt nicht, dass sie seit 30 Jahren die deutsche Stimme von Julia Roberts ist – auch in der Starzplay-Serie Gaslit. Ein DWDL-Gespräch mit Deutschlands bekanntester Synchronspercherin über Labiallaute, Übersetzungssexismus, Julias Kiekser und warum sie unfreiwillig oft Originalfassungen schaut.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Frau Hoffmann, Sie meinten vorm Interview, eigentlich nicht so gern im Mittelpunkt zu
stehen, aber für Gaslit würden Sie mal eine Ausnahme machen. Warum?

Daniela Hoffmann: Weil es eine unglaublich hochwertige Produktion ist, für die Starzplay
Oscars kriegen müsste, wenn das für Serien ginge. Maske, Schnitt, Regie, die Schauspieler
natürlich, allen voran Sean Penn – alles einfach genial gut.

Und Julia Roberts?

Ach, die war ja eigentlich schon immer gut, aber mittlerweile ist sie es auch deshalb, weil sie so normal gereift ist, ohne sich botoxen zu lassen. Ich bewundere das auch, weil Frauen über 50 normalerweise gar keine Rollen mehr kriegen und wenn doch, nur beschissene. Da sich hat Julia Roberts gesagt, sie produziert eben selbst.

So wie Gaslit.

Und vorher Homecoming. Auch wenn das vielleicht blöd klingt: mit ihrem Geld und Einfluss kauft sie sich gewissermaßen die Würde ihrer Charaktere, die zwar immer noch sexy sind; ist halt Julia Roberts. Aber eben auch altersgerecht und anspruchsvoll, ohne nur weibliche Rollenklischees zu bedienen.

Sie selbst sind ungefähr in Julia Roberts Alter. Synchronisiert man sie da einfach reifer oder verändert sich die Arbeit am gealterten Original grundsätzlich?

Ach, ich kenne Julia Roberts mittlerweile so gut, dass die Art, wie ich sie spreche einfach mitgealtert. Bei Pretty Woman musste ich ihre charakteristischen Kiekser und Tonsprünge noch kopieren. Mittlerweise sind die einfach drin in mir, alles automatisch.

Sind Sie am Sprecherinnenpult dann ein bisschen Julia Roberts oder bleiben sie Daniela Hoffmann?

Da ticken alle Synchronsprecher anders, aber ich verschmelze wirklich mit der Figur, die ich spreche, nicht nur im Falle Julia Roberts. Einige von uns machen ihr eigenes Ding und versuchen – was manchmal möglich ist – das Original zu verbessern. Obwohl ich Schauspielerin bin, orientiere ich mich dagegen voll und ganz am Original; das bin ich der Figur, aber auch dem Drehbuch oder Regisseur schuldig. Haben Sie die Serie gesehen?

Nur im Original; Ihre Synchronisation war noch nicht verfügbar.

Da haben Sie ja gehört, wie emotional Julia Roberts Martha Mitchell interpretiert. Diese Verzweiflung ziehe ich mir als Sprecherin so rein, dass ich beim Sprechen schon mal weine und nach Feierabend besser nicht angesprochen werde – so aufgewühlt bin ich noch. Das passiert aber nur bei hochwertigen Formaten wie diesem hier, nicht immer. Bei weniger hochwertigen bleibe ich außerhalb der Figur, das ist auch okay.

Was ist Ihnen in beiden Fällen wichtiger: Lippensynchronität oder Textauthentizität, also Form oder Inhalt?

Das Spiel bleibt am wichtigsten, aber mit der nötigen Hingabe ist es zu 99 Prozent möglich, beides in Einklang zu bringen. Und falls das nicht geht, mach ich die Sache schon lange genug, um Texte so abzuändern, dass sie passen. Manchmal übersehen selbst erfahrene Schreiber ja einen Labial.

Labial?

Konsonanten mit Lippenverschluss.

M, B, P, F, V, W.

Wobei die letzten drei Halblabiale sind. Regisseur, Cutter, Toningenieur oder eben ich finden fast immer Worte, wo die Übersetzung zu viel oder zu wenig Labiale hat; das fällt beim Zusehen auf. „Remember“ hat drei, „erinnern“ null; da muss man eine Alternative finden, die das Gleiche aussagt, aber lippensynchron ist. Gerade bei Julia Roberts sind aber alle so gut eingespielt, dass das kein Problem ist. Problematisch ist eher was anderes mittlerweile.

Nämlich?

Sie ist ein bisschen tiefer geworden, während ich etwas höher geblieben bin. Hier hat das aber auch mit ihrem texanischen Slang zu tun, den man auf Deutsch kaum kopieren kann.

Wobei Frauen hierzulande auffallend oft höher synchronisiert und gelegentlich sogar zu kleinen Mädchen verniedlich werden.

Aber doch nicht meine Julia?

Nein.

Als gebürtige Ostberlinerin, die sehr emanzipiert erzogen wurde und aufgewachsen ist, stört mich das auch manchmal, auch im Privaten. Dieses Mädchenschema. Julia Roberts und ich sind inzwischen so verschmolzen, dass der tiefere Ton automatisch kommt.

Wie klingt sie denn so im persönlichen Gespräch?

Keine Ahnung, ich habe sie nie getroffen. Was aber eher daran liegt, dass sie seit Jahrzehnten nicht so gerne reist, auch Premieren bleibt sie meistens fern. Vor der von Pretty Woman, als sie noch keine Kinder hatte, sollte es ein Treffen geben, aber weil mich Journalisten gebeten hatten, dabei mit ihr wie auf dem berühmten Filmplakat mit Overknee-Stiefeln an der Wand zu lehnen, hab‘ ich dankend abgelehnt.

Und bei anderer Gelegenheit?

Stand mir vielleicht ein bisschen die DDR-Schule im Weg. Da hat man nämlich Russisch statt Englisch gelernt, und meine Zweitsprache war Französisch. Mittlerweile kann ich zwar ganz gut Englisch und verstehe auch fast alles. Aber damals hätte ich mich gar nicht mit ihr unterhalten können. „Hello, I’m your voice“ und sie dann: „Hello, I’m your body“, oder wat?!

Kennt Julia Roberts wenigstens Ihre Stimme?

Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber es gibt die Erzählung, dass amerikanische Produzenten meine Art ihrer drei Arten, dreckig zu lachen, beim Casting zu Pretty Woman am besten fanden. Vielleicht hat sie die Probeaufnahmen auch gehört.

Am besten, weil Sie damals noch eher Schauspielerin als Synchronsprecherin waren?

Vielleicht. Aber mittlerweile spreche ich mehr als zu spielen. Was auch daran liegt, dass es für Frauen meines Alters weniger gute Rollen gibt und ich kein Geld habe, mir wie Julia eigene schreiben zu lassen. Beim Sprechen mag ich erste Liga sein, als Darstellerin durfte ich nie so ganz vorne mitspielen. Aber alles hat seine Zeit und diese ging irgendwann einfach zu Ende.

Wurden Sie als Schauspielerin auch mal wegen Ihrer Stimme gebucht, so als Hollywood-Zugabe?

Im Gegenteil, das war eher kontraproduktiv, weshalb ich beim Casting auch extra berlinere. Mir fehlt einfach das Glamouröse ihrer Ausstrahlung, die stünde meinen Rollenprofilen im Weg; ich war da oft eher Typ Putzfrau.

So wie Sie hier gerade sprechen, werden Sie in der Öffentlichkeit vermutlich auch gar
nicht als Julia Roberts erkannt.

Nie. Als Hamburger kennen Sie vermutlich nicht Radio Paradiso, den gefühlt alle Taxifahrer in Berlin hören. Ich mache da die Station-Voice, spreche also Jingles und so. Trotzdem erkennen mich Taxifahrer selbst dann nicht, wenn ich dabei gerade neben ihnen sitze.

Sie klingen da jetzt auch nicht enttäuscht, unerkannt zu bleiben.

Da fehlt mir ehrlich die Eitelkeit. Manchmal werde ich wegen meiner Rollen im „Landarzt“
oder so erkannt, das finde ich irgendwie nett. Aber als Synchronsprecherin stehe ich nun mal
nicht im Mittelpunkt.

Wie hat sich Ihre Arbeit in dieser langen Zeit verändert?

Sie ist unglaublich schneller geworden. Wir leisten in derselben Zeit das vierfache Pensum als 1990 – ohne, dass sich die Gage mitvervierfacht hätte (lacht). Dafür standen wir damals oft zu viert im Studio, jetzt werden alle einzeln aufgenommen; das spart natürlich Wartezeit. Früher lag das Tagespensum dagegen bei 80 Takes, heute sind es 250, können aber auch 400 sein.

Ist es organischer, also schauspielerischer, wenn alle gemeinsam im Studio sind?

Für manche mag das so sein, für mich nicht. Auch wegen der Erfahrung, zu wissen, wie Kollegen ihre Takes sprechen, ohne dass ich sie dabei sehe. Was allerdings komplizierter ist als damals: wir kriegen die Filme aus Gründen der Geheimhaltung selten im Ganzen, sondern nur noch stückweise zu sehen. Alles sehr verschwiegen.

Wie sehen Sie selbst eigentlich fern – synchronisiert oder original?

Ich beginne oft im Original, um mein Englisch aufzufrischen, ende aber gern in der Synchronfassung. Wenn meine Kinder hier sind, läuft aber fast nur original, weil beide perfekt Englisch sprechen. Mein Großer kann sogar noch Koreanisch, der ist mit einer Koreanerin verheiratet; da bin ich natürlich der Doofdepp aus dem Osten, die darum kämpfen muss, wenigstens Untertitel anzuschalten. Selbst, wenn wir was mit Julia Roberts schauen, läuft das Original.

Nee!

Doch (lacht). Dann sag ich manchmal, Mensch, ihr lebt von der Synchro, verdammte Hacke. Aber machen wir uns nichts vor: es gibt auch unter Jüngeren viele, die nicht genug Englisch sprechen oder zu wenig Lust auf Mitlesen haben. Wir werden noch gebraucht!

Und wie lange werden Sie noch für Julia Roberts gebraucht?

Bis sie aufhört und der Verleih mich bezahlt. Verglichen mit Julia Roberts verdiene ich zwar fast nichts, bin aber durch meine Erfahrung schon etwas teurer. 2000 Mark vor Steuern wie für „Pretty Woman“ sind es jedenfalls nicht mehr. Wenn da jemand entscheidet, sie wollen wen Günstigeres, bin ich weg und irgendwann vergessen. Es ist, wie’s ist.

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