Fredrichs Abgang & sexistisches London

Die Gebrauchtwoche

TV

30. Januar – 5. Februar

Es wäre ein Knall gewesen, der laut durchs Medienland scheppert und überall gehört werden müsste: Die Aufsichtsratsvorsitzende Julia Becker hat den vorläufigen Austritt ihrer Funke Mediengruppe aus dem Branchenverband BDZV in der Süddeutschen Zeitung am Wochenende nicht nur mit dessen Selbstverzwergung im Arsch von Mathias Döpfner erklärt, sondern der unfassbaren Misogynie im Journalismus. Zu dumm, das so was nur branchenintern wahrgenommen wird.

Bei ihrem Amtsantritt vor fünf – nicht 50! – Jahren nämlich sei die Enkelin des Funke-Gründers Jakob meist allein unter Männern von vielfach patriarchalischer Selbstgerechtigkeit gewesen, woran sich zwar etwas ändere, aber nur sehr, sehr langsam. Kaum zu glauben, dass in dieser Branche ausgerechnet Führungskräfte, denen sicht- und spürbar an Veränderung in Richtung Diversität gelegen ist, an sich selber scheitern.

Benjamin Fredrich, Gründer und Chef des liebenswerten Greifswalder Grafikmagazins Katapult, ist nach einem Übermedien-Bericht über nachlässige Spendengelder-Verwendung seiner ukrainischen Redaktion zurückgetreten. Fraglos ein kritikwürdiges Verhalten – das rechts dieser linken Mitte allerdings nicht mal Schulterzucken erzeugt hätte. Aber die Integrität demokratischer Kräfte (Katapult) ist im Vergleich zu derjenigen demokratiefeindlicher (Springer) seit jeher so groß, dass sie sich lieber selbst als ihre Gegner zerfleischen.

Nach diesem Prinzip brachten kürzlich Enthüllungen des geistesverwandten Böhmermann bereits den linksliberalen Medien-Liebling Finn Klymann zu Fall. Nach diesem Prinzip findet sich der gewissenhafte Louis Klamroth gerade in einem ComplianceVerfahren der ARD wieder, weil er seine Beziehung zur Klima-Aktivistin Luise Neubauer nicht veröffentlicht hatte. Nach diesem Prinzip kann die Bild-Zeitung seit Wochen aber auch Tag für Tag zwei ihrer Mitstreiter:innen mit Titelseitendreck bewerfen, da sie buchstäblich dummerweise das getan haben, was Bild-Leser gewissenlos tun: nach Bali fliegen. Simple neue Medienwelt.

In der es jedoch seit Kriegsbeginn eher noch komplizierter geworden ist, Wahrhaftigkeit zu vermitteln. Also das, was Reporter ohne Grenzen seit Jahrzehnten versucht. Zusammen mit den Zentren für Pressefreiheit Lwiw und Kyjiw weist die journalistische Hilfsorganisation auf den außergewöhnlichen Fall eines ukrainischen Reporters hin, den russische Truppen offenbar gezielt getötet haben. Sehr investigativ, höchst interessant, überaus erschreckend.

Die Frischwoche

0-Frischwoche

6. – 12. Februar

Weder investigativ noch erschreckend, aber hochinteressant ist die norwegische Dramaserie Lifjord um einen Mordverdächtigen, der 20 Jahre nach seinem umstrittenen – so der Untertitel – Freispruch als lebensrettender Investor ins abgelegene Heimatdorf zurückkehrt. Bislang lief die Serie unter Ausschluss der deutschen Öffentlichkeit bei Sony. Nun sind sie ersten zwei Staffeln in der Arte-Mediathek zu sehen. Dort also, wo sich der Kulturkanal Dienstag dokumentarisch zur besten Sendezeit mit der Atomkraft auseinandersetzt.

Optisch, ästhetisch, akustisch opulenter ist dagegen die Sky-Serie Funny Woman, in der eine nordenglischen Schönheitskönigin ins London der Swinging Sixties zieht, die leider vor allem sexistisch waren. Um als Komikerin durchzustarten, muss Ex-Bond-Girl Gemma Arterton also Dutzende gläserner Decken durchstoßen. Und nach Drehbüchern von (Nebendarstellerin) Morwenna Banks hat Regisseur Oliver Parker Nick Hornbys Romanvorlage dabei zwar ein bisschen dick gezuckert. Dennoch ist die sechsteilige Comedy ab Donnerstag auf Sky von pfiffiger Sozialkritik.

Das gilt tags drauf in der ZDF-Mediathek auch für die 2. Staffel der Late-coming-of-Age-Serie Deadlines um eine Handvoll deutscher Großstadtfrauen im Hamsterrad der multioptionalen Gesellschaft. Und wenn die Umsetzung mit schwarzer, lesbischer, (auf)begehrender Sklavin im (noch) rassistische(re)n Amerika des vorvorigen Jahrhunderts nicht so berechnend auf divers machen würde, gälte es auch fürs Magenta-Drama Das Geständnis der Fanny Langdon am Sonntag.

Da ist dann sogar die andere deutsche Late-Coming-of-Age-Serie Tage, die es nicht gab mit Franziska Weisz, Diana Amft, Jasmin Gerat und Franziska Hackl als frühere Schulfreundinnen mit dunklem Geheimnis zeitgleich in der ARD-Mediathek ein wenig klischeefreier umgesetzt. Bleiben zwei weitere weiblich besetzte Netflix-Serien: Der Handel um (realexistierende) Frauen im Kuwaiter Börsenspiel der Achtziger. Für Fans koreanischer Liebesreigen dazu: Love to Hate you. Und für solche von Dominik Graf: sein Mittwochsfilm Gesicht der Erinnerung mit Verena Altenberger, die ihren toten Exfreund in einem 20 Jahre Jüngeren wiederzuerkennen scheint, schafft es bildgewaltig, Esoterik, Psychologie, Melodrama und magischen Realismus zu versöhnen.

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