Kerala Dust, Deichkind, Wesley Joseph
Posted: February 18, 2023 | Author: Jan Freitag | Filed under: 5 freitagsmusik |Leave a commentKerala Dust
Dass sich Musik nicht mehr neu erfinden lässt, ist hinlänglich bekannt. Sie alt klingen zu lassen, ohne ins Nostalgische und/oder Peinliche abzudriften, erscheint daher noch komplizierter als innovativ zu sein, aber Kerala Dust schaffen es spielend. Das neue Album der Londoner aus Berlin ist schließlich eine zwölfteilige Reminiszenz an Vorbilder von Can bis Tom Waits, in die sich angeblich sogar eine Spur Velvet Underground hineindrängelt, was zwar Unsinn ist, aber den Ereignisraum der drei Briten gut umschreibt.
Der wabernde Kopfgesang vom Soundgestalter Edmund Kenny mit viel “me” und “love” quält sich durch Anachronismen, bis die Neuordnung der Dinge zugleich antiquiert und progressiv daherkommt. Wattierte Gitarren, die in Red Light an den Sixties kratzen, dystopische Keyboards, deren Tristesse in Pulse VI in den New Wave der späten Siebziger zurückreichen, zwischendurch eher sedierte als entschleunigte Elektronica zwischen psychedelischem Krautrock retrofuturistischem Pop – alles tausendmal gehört, aber selten so klug kompiliert.
Kerala Dust – Violet Drive (PIAS)
Deichkind
Höchste Zeit also für einen Break der brüchigsten Art. Deichkind sind zurück mit ihrer neuen Platte Neues vom Dauerzustand, auf der das Hamburger Trio wie immer die hedonistische Belastbarkeit von Intellekt und Moral mithilfe dadaistischen Garagentechnos ausloten. Einst als reine Spaßkapelle schwer beliebt, aber irrelevant, verstehen sich die jungen Deichkinder Porky und La Perla an der Seite des alten Bandgründers Kryptik Joe längst als Seismografen durchgehend tanzbarer Kapitalismus- und Kulturkritik.
Wenn sie im Opener “Kopf ein Affen mit Schellen / Storno im Brain / Delle am Helm” rappen, geht es also nicht um elaborierte Realitätsverweigerung, sondern digitale Hirnüberfüllung. Und selbst der Abgehtrack Fete verpennt erklärt uns unterm hochtourigen Powerbass-Gezappel eher von verpassten als versoffenen Chancen der multioptionalen Gesellschaft. Alles in allem also: Abfahrt wie immer, aber stets die Megakrisen von gestern, heute, morgen im Hinterkopf – den sie nur noch symbolisch, aber umso geiler mit Dosenbier verfüllen.
Deichkind – Neues vom Dauerzustand (Sultan Günther Musik)
Wesley Joseph
Und damit zu einem Künstler, der Sound und Vocals nicht nur politisch, sondern auch musikalisch ein bisschen ernster nimmt als die Dosenbierbrigade aus Hamburg. Das englische Kleinstadtkind, vom Label Secretly Canadian kurzerhand zum Universalgenie erhoben, schreibt – besser: malt Kunstwerke britischen HipHops voll Northern Soul und R’n’B-Sprengseln, die leider zwar völlig frei von Augenzwinkern sind, aber in ihrer lässigen Ernsthaftigkeit vom ersten bis zum letzten der acht Tracks ins Mark gehen.
Mit seiner welligen, fast gebirgigen Art zu singen, grast dieser musizierende Filmemacher, der sich parallel als Regisseur und Artworker weitere Namen macht, alle Wiesen des British Cool ab. Im Titeltrack Glow erinnert das – vermutlich bewusst – fast ein bisschen an Mike Skinner, im späteren I Just Know Highs sogar – definitiv unfreiwillig – an Hayiti, aber was heißt erinnern: wie in den Projekten zuvor will Wesley Joseph seine Art HipHop auf eigene Art definieren: nicht grad universalgenial, aber ungemein interessant.
Wesley Joseph – Glow (Secretly Canadian)