Steve Youngwood: Nickelodeon & Sesamstraße

Ich fand immer Samson am Besten

256d28e4dcc295b06e0664d5faed3564

Seit 2015 leitet Steve Youngwood (Foto: Sesame Workshop) eine weltweit wichtige, weithin unbekannte Firma: Sesame Workshop. Unterm Dach dieser Non Profit Organisation entsteht seit genau 50 Jahren auch die Sesamstraße. Zum Geburtstag kam der New Yorker nach Hamburg.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Mr. Youngwood, Sie haben Ihr halbes Leben für Kinderprogramme wie Nickelodeon gearbeitet, den Sie hierzulande sogar mit aufgebaut haben. Was hat es Ihnen da bedeutet, 2015 beim Sesam Workshop anzufangen?

Steve Youngwood: Das war natürlich ein Traum, aber auch autobiografisch passend. Schließlich wurde ich im selben Jahr geboren wie die Sesame Street in den USA, bin also buchstäblich mit ihr gewachsen. Auch andere Kindersender, für die ich später gearbeitet habe, wären ohne Sesame Street nicht denkbar.

Weil sich alle anderen an ihr orientiert haben?

Weil Kinder durch Medien zu erziehen 1969 eine kühne Idee war. Auch wenn es als amerikanische Show begonnen hat, waren die Ideale und Prinzipien, Kinder als Medienkonsumenten ernst zu nehmen und ihnen Wissen mit Spaß zu vermitteln, dabei stets global. Es ging uns nie darum, ob Kinder lernen, sondern was. Die Idee zur Sesame Street entstand, weil Kinder seinerzeit vor dem Fernseher Texte von Bier-Reklame lernten.

Und dem hat die Sesamstraße das neue Konzept des Edutainments entgegengesetzt?

Genau. Wir unterhalten, um zu bilden. Das kann konkret um Lesen und Schreiben gehen, aber auch die Herausbildung einer positiven Identität und selbstwirksamen Persönlichkeit. Denn der Grundsatz If you can’t reach, you can’t teach ist kein Marketing-Aspekt, sondern unser Daseinsgrund. Nur wenn Lehrer die Herzen der Kinder erreichen, erreichen sie deren Köpfe.

Was unterscheidet Edutainment 1969 da von heute?

Vor allem durch die Kanäle. Damals hatte Sesame Street im Fernsehen 70 Prozent der Kinder erreicht. In unserer fragmentierten Medienwelt besteht die Herausforderung demnach darin, sie überhaupt noch zu erreichen. Andererseits kann man dies viel zielgerichteter tun.

Und inhaltlich?

Muss man heute ein bisschen schneller zum Punkt kommen, um Kinder bei der Stange zu halten, aber das Prinzip respektvoller Wissensvermittlung durch Unterhaltung ist geblieben. Was sich noch geändert hat: früher konnten wir langfristiger planen, heute reagieren wir eher mal auf aktuelle Entwicklungen.

Auf Covid zum Beispiel?

In der Pandemie haben wir die Puppen daher ins Home-Office geschickt und vermittelt, dass Masken und Impfstoffe richtig sind. Während einer der größten humanitären Katastrophen der vergangenen Jahrzehnte haben wir zudem ein Programm für syrische Kinder in Flüchtlingslagern geschaffen und dafür 100 Millionen Dollar Spenden erhalten. Wer die Bildung der Kinder am Übergang zur Schule vernachlässigt, braucht ein Leben lang, um die Lücken zu schließen. Flüchtlingskinder in Bangladesch oder der Ukraine zu erreichen, wäre vor 20 Jahren mit der Sesamstraße allein gar nicht möglich gewesen.

Wie viel Politik vertragen Vorschulkinder denn?

Wir verstehen Politik als gesellschaftliches Handeln und vermitteln sozial-emotionale Skills, damit Kinder die Umstände, in denen sie sich befinden, so verstehen, dass keine Traumata entstehen oder vorhandene aufgearbeitet werden können. Das Konzept ist global, die Umsetzung lokal; deshalb gibt es in Südafrika eine Puppe, die HIV-positiv ist, um das Thema Aids nicht zu verstecken und Erkrankte zu destigmatisieren.

Was ist da am deutschen Markt einzigartig?

Auf dem ersten mit eigener Sendung nach Brasilien oder Mexiko und dem NDR als langjährigster Partner weltweit, geht es abseits schulischer Kompetenzen um Identität und Zugehörigkeit. Witzigerweise höre ich von Deutschen oft, sie wüssten gar nicht, dass es die Sesamstraße auch in den USA gebe…

Welche ist denn Ihre deutsche Lieblingsfigur?

Als Fan von Big Bird fand ich immer Samson am besten. Aber es sagt definitiv etwas über die Persönlichkeit aus, ob man Krümelmonster mag, Ernie & Bert oder Elmo. Aber davon unabhängig ging es immer um die Darstellung gesellschaftlicher Diversität.

Was in Bayern zunächst mal gar nicht gern gesehen wurde.

Ach, war die Sesamstraße trotzdem zu sehen?

Zu Beginn nicht.

Wie in Mississippi zum Beispiel. Aber jetzt weiß ich nichts mehr von Kontroversen. In unserer fragmentierten Medienlandschaft hat niemand mehr dasselbe Mindset wie in den Siebzigern mit vier Fernsehprogrammen.

Heute sind es Dutzende plus Streamingdienste.

Und da müssen wir uns immer wieder neu aufstellen, um Kinder zu erreichen.

Auch Ihre eigenen?

Die sind inzwischen 19, 16, 11 Jahre alt natürlich mit der Sesamstraße aufgewachsen. In den USA haben wir noch immer Aufmerksamkeitsraten von 98 Prozent und genießen hohes Vertrauen. Besonders in Zeiten der Krise suchen die Menschen Sicherheit und wenden sich dem zu, was sie kennen und schätzen.

Und warum bleibt Ihre schon so lange erfolgreich?

Ein Geheimnis unserer Marke ist, dass sie von Beginn an generationenübergreifend war, was wir anfangs, als in jedem Haushalt ein Fernseher für alle stand, durch viel Musik und Prominente gefördert haben. Deshalb wird es die Sesamstraße auf allen Kanälen noch jahrzehntelang geben. Die Welt braucht uns und in 50 Jahren feiern wir hier den 100. Geburtstag der Sesamstraße.



Leave a comment

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.