Christoph Waltz: Tarantino & The Consultant

Ich sehe mehr gute als böse Jungs

e5c68a8e-9446-49cf-a8ab-5a25c899a7ce_w948_r1.778_fpx32_fpy40

Auf Leinwand ist Christoph Waltz (Foto: Michael Desmond/Amazon) ein Weltstar, am Bildschirm kaum zu sehen. Die Amazon-Serie The Consultant könnte das ändern. Seit Februar spielt der Wiener darin seine Paraderolle: einen manischen Menschenmanipulierer. Ein Interview über Soziopathen, Fernseher, Ängste und was er nach der Morgenzeitung gern täte.

Von Jan Freitag

freitagsmedien: Herr Waltz, haben Sie im früheren oder vielleicht sogar im späteren Leben öfter Videospiele gespielt?

Christoph Waltz: Ein, zweimal vielleicht, und ich fand sie so furchtbar langweilig, dass ich nie in Gefahr geraten bin, mich daran zu gewöhnen. Meine persönliche Erfahrung mit dem Thema dieser Serie ist demnach sehr limitiert.

Und wie sieht Ihre Erfahrung mit den Großraumbüros des Computerspiel-Herstellers aus, den Sie als Unternehmensberater nach dem Tod des Besitzers radikal umstrukturieren?

Ähnlich. Ich habe auch noch nie wirklich im Büro gearbeitet, bin diesem System glücklicherweise also früh entflohen.

Haben Sie darüber hinaus denn schon mit übergriffigen Chefs wie The Consultant Regus Patoff gearbeitet?

Natürlich, wer hätte das nicht in meinem Alter. Aber davon unabhängig imitiere ich für meine Rollen generell weder reale Figuren noch eigene Erfahrungen, sondern spiele das, was aufgeschrieben wurde. Und Regus Patoff ist schon deshalb gar kein übergriffiger Chef, weil Übergriffigkeit immer auch mit den Perspektiven der Betroffenen zu tun hat und wer dazu beiträgt oder sie erst ermöglicht.

Es geht in The Consultant also gar nicht um toxische Arbeitgeber, sondern toxische Arbeitsbedingungen im Hamsterrad der New Economy?

Dem könnte ich nicht mehr zustimmen! Und aus dramaturgischer Sicht sorgt Patoffs Störung missbräuchlicher Arbeitsverhältnisse durch meinen Unternehmensberater sogar dafür, dass sie vielleicht weniger toxisch werden. Gerade im digitalen Hamsterrad der New Economy würde ich mir wünschen, dass es mehr unorthodoxe Leute wie ihn gäbe, die den digitalen Gleichschritt aller Beteiligten analog ein bisschen durcheinanderbringen.

Für Sie ist Patoff also gar nicht der Schurke, den seine diabolische Art mutmaßen lässt?

Nein.

Aber schon eine Figur mit soziopathischer Persönlichkeitsstruktur, die mehrere Ihrer Erfolge als Schauspieler kennzeichnet?

Ich möchte nicht respektlos klingen, aber wenn Sie auf meine Karriere zurückblicken und nur Schurken sehen – gut. Wenn ich auf diese 45 Jahre zurückblicke, sehe ich sogar mehr gute als böse Jungs – wobei letztere natürlich zwar oft interessanter, vielschichtiger und lebhafter sind; aber wenn Sie in dieser Figur etwas Diabolisches sehen, sagt das am Ende mehr über Sie als über mich und die Serie (lacht).

Die nach Most Dangerous Game vor zwei Jahren Ihre erste seit dem ARD-Klassiker Parole Chicago ist…

(lacht herzlich) Das ist doch mal eine schöne Erinnerung, die Serie muss vom Ende der 70er stammen! Most Dangerous Game betrachte ich dagegen eher als – nicht besonders funktionierendes – Experiment eines in 15 Stücke zerteilten Filmes, an dem mich die Form mehr interessiert hat als der Inhalt. Weil ich meine bevorzugte Erzählform – das Drama – immer vom Ende her denke, unterstelle ich Serien oft, es bloß herauszögern. Damit spreche ich Ihnen nicht die Gültigkeit ab, sie wecken nur selten mein Interesse.

Klingt, als wenn Sie nicht nur selten Serien drehen, sondern auch sehen…

Ich mache hiermit ein Geständnis: Ich besitze gar keinen Fernseher und schaue zwar das eine oder andere am Computer, aber auch das eher ungern.

Und was hat Sie dann an dieser hier überzeugt?

Der Autor. Tony Basgallup. Normalerweise vertraue ich, in den Worten von D. H. Lawrence, der Geschichte mehr als ihrem Erzähler. Hier war es umgekehrt. Trotzdem hat sie mich nach dem Lesen der Pilotfolge sofort reingezogen.

Angesichts einer so vielschichtigen Figur kein Wunder, die zwar bedenkenlos Leute entlässt, aber sich vorm Treppensteigen fürchtet. Wovor haben Sie Angst?

Ängste sind immer situations- und altersabhängig. Als junger, zumal männlicher Mensch, bei dem sich der frontale Kortex nur verzögert entwickelt, hat man ja vor allem, was einen am 40. Geburtstag plötzlich entsetzt, überhaupt keine Angst. Aber selbst der fürchtet letztlich ja den Tod. Warum sollte ich da anders sein?

Sind Sie generell ein ängstlicher Typ?

Wenn ich sehe, was in der Welt gerade alles schiefläuft – sehr sogar! Sobald ich die Zeitung öffne, möchte ich eigentlich sofort zurück ins Bett und mir die Decke über den Kopf ziehen.

Haben Sie auch Angst vor Einflussverlust? In Ihrer ersten Streaming-Serie als Hauptdarsteller sind Sie zugleich Executive Producer. Klingt nach persönlicher Qualitätskontrolle…

In gewisser Weise ist es das auch, wenngleich mein Einfluss eher formeller als praktischer Art ist. Ich bin zwar ein bisschen mehr in die Kommunikation eingeklinkt und ein bisschen behilflicher als Schauspieler, die morgens zum Set kommen und abends wieder gehen. Mehr Macht will ich aber schon deshalb nicht, weil mich zunächst interessiert, was der Autor beabsichtigt. Für mehr bin ich viel zu sehr mit dem Spielen meiner Rolle beschäftigt.

Die es als The Consultant mit einer weiteren Meta-Ebene zu tun kriegt: Dem Bedürfnis, der Nachwelt etwas zu hinterlassen, was womöglich größer ist als das Leben selbst.

Allerdings eine Meta-Ebene unter vielen, ja.

Was würden Sie der Nachwelt – auch wenn es noch lange hin ist – gern hinterlassen.

Meiner unmittelbaren zunächst keine Schulden, aber die Nachwelt flicht Mimen keine Kränze oder wie man Neudeutsch sagt: Augen auf bei der Berufswahl. Ich kann mir daher aber kaum vorstellen, dass die künftige Filmgeschichte nicht genügend neue Alternativen bereithält, um mich und meinen Namen in Vergessenheit geraten zu lassen.

Immerhin setzen Sie sich am Ende der Serie ein kleines Vermächtnis, wenn Sie Frank Sinatras My Way singen und damit an ihre eigenes Gesangsstudium anknüpfen.

Und wie Sie da hören, hatte es einen tieferen Sinn, dass mir der Prüfer nach bestandener Aufnahmeprüfung an der Musikakademie in Wien seinerzeit sagte, da hätte ich aber Glück gehabt, weil – „so schön haben Sie jetzt nicht gesungen“. Damit hatte er möglicherweise nicht Unrecht.

Advertisement


Leave a Reply

Fill in your details below or click an icon to log in:

WordPress.com Logo

You are commenting using your WordPress.com account. Log Out /  Change )

Twitter picture

You are commenting using your Twitter account. Log Out /  Change )

Facebook photo

You are commenting using your Facebook account. Log Out /  Change )

Connecting to %s

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.