Reise: Thailand/Isaan
Posted: July 20, 2013 Filed under: 6 wochenendreportage Leave a commentEile und Weile
Thailand ist ein Land der Widersprüche. Und nirgends werden sie schöner deutlich als in der unerschlossenen Region Isaan im Nordosten, der bettelarmen, touristisch erfrischend unerschlossenen Kornkammer am Mekong.
Von Jan Freitag
Wenn Tao von Comicstars redet, klingt es selten freundlich. „Das ist doch Micky Maus“, sagt er dann mit abfälliger Geste und zeigt auf Thailands spätindustrielle Substanz: Beton. Für sie hat Tao zumeist nur Spott übrig und er spottet oft auf dieser langen Fahrt, den Mekong hinauf durch den Isaan, die gemächliche, grünschattierte, bezaubernde, urwüchsige, bettelarme Kornkammer des Landes, oben im Nordosten. Eigentlich gibt es daran wenig zu bemängeln, gäbe es da nicht die religiösen Touristenattraktionen. An ihnen lässt Tao oft kein gutes Haar.
Nicht dass er gotteslästerlich wäre oder Atheist gar, nein. Der massige Reiseleiter mit dem faustgroßen Buddha-Amulett vor der Brust ist ein zutiefst frommer Mensch, wie seine Landsleute insgesamt. Aber diese Tempelanlage in Ufernähe ist selbst für die duldsame Frohnatur zu viel. „Wie in Disneyland“, mäkelt er an den goldglänzenden Rekonstruktion des historischen Wat Phra That Phanom, das immerhin einen Brustbeinknochen des Religionsstifters beherbergen soll, herum. So wie er zuvor schon über die großstädtischen Urlaubergruppen mit ihren krächzenden Plastikmegafonen in der geheiligten Ruinenanlage Phi Mai lästerte oder über jene Klöster im staatsreligiösen Land, die sich als Herbergen hergeben – für Tagesgäste. Thailands Umgang mit Kulturdenkmälern ist in der Tat leicht pragmatisch, doch dieser Tempel an der Grenze zu Laos, der Legende nach kurz auf Buddhas Tod errichtet und spirituell höchst bedeutsam, ist seit seiner Restaurierung ein wahres Kitschinferno. Dabei hätte der Isaan solche Mätzchen gar nicht nötig.
Es ist eine der schönsten Gegenden Südasiens, touristisch noch unerschlossen, ganz anders als der Schmelztiegel Bangkok oder die endlosen Sandstrände im Süden. Gelegen auf der Khorat-Hochebene zeigt sich der sommers staubtrockene Isaan zur Regenzeit als ein Naturreservat von beeindruckender Vielfalt. Eine prall gefüllte Schatzkiste der längst vergangenen Khmerkultur zudem und ein Beleg dafür, mit welchem Tempo sich der Agrarstaat auf dem Weg in die Zukunft bewegt. Er ist feiner asphaltiert als manch deutsche Bundesstraße und wären da nicht die monsungetränkten Felder ringsum, die gemütlich kreuzenden Wasserbüffel, die sakralen Bauten – man könnte sich glatt auf einer wähnen. Das hat auch mit Tao zu tun. Im pfälzischen Restakzent eines vierjährigen Auslandsstudiums erklärt der gelernte Elektrotechniker seine alte, neue Welt und verkörpert sie gleichermaßen wie kaum ein zweiter, diese sonderbare Mischung aus Eile und Weile, Aufbruch und Tradition, aus westlichem Effizienzdenken und buddhistischer Kontemplation, aus überladenen Horden rasender Zweitakter und Betelnusskauenden Lebenskünstlern am Straßenrand.
Alles liegt dicht beieinander. Hat man die ewige Rushhour Bangkoks auch nur fünf Minuten hinter sich gelassen und fährt auf der Schnellstraße Richtung Nordosten, die amerikanische GIs 1968 zur Truppenversorgung in den Tropenwald schlugen, spürt man sofort den Ruhepuls des Landes. Nur einmal noch, in der grauen Millionenstadt Korat, dem Tor zum Isaan, wallt die Unruhe kurz auf, dann herrscht eine dunstige, arbeitsame, schwüle Gelassenheit, die nur dort unterbrochen wird, wo viele Menschen auf einem Fleck herumwuseln. Meistens sind es nur wenige. Viele, zu viele sind es in der Tempelruine Phanom Rung nahe Kambodscha, dem Auftakt der Rundfahrt. Mit ihren drachengesäumten Freitreppen gleicht sie dem berühmten Angkor Wat jenseits der Grenze und wird erst langsam zum globalen Fotomotiv. Hier merken Europäer noch, was es heißt, abgelegene Gegenden zu bereisen. Als Langnase wird man zwischen den restaurierten Mauern unversehens selbst zur Sehenswürdigkeit unter der quirligen Schar Einheimischer, die dem Heiligtum ihre Pflichtbesuche abstatten wie Moslems der Kaaba. Und mittendrin im knipsenden, plappernden Gewusel eine Schar Gläubiger, die dem Gott Wishnu im stillen Gebet Blattgold zwischen die Stierhörner reiben, als seien sie allein mit sich und der Statue. Zwei Geschwindigkeiten, auch hier, im Kleinen.
Sie begleiten den Mekong bis zur Quelle. Mal kriecht er braun und träge zum Golf, mal reißt die Strömung alles mit sich, so energisch, dass die Flüchtlinge aus dem kommunistischen Laos kaum eine Chance haben in ihren maroden Holzbooten. Es ist an Dekadenz kaum zu überbieten, den Grenzpatrouillen aus dem Edelhotel mit Pool dabei zuzusehen, wie sie das Wasser mit Scheinwerfern absuchen. Auch das ist Teil des Widerspruchgewirrs am Mekong, der Mutter aller Flüsse, wie ihn die Thai nennen. Doch noch ist übertriebener Luxus im Isaan eher Ausnahme als Regel. Wer die Tropen sucht und dafür weder Diktatur noch Turbokapitalismus ertragen möchte, wer Komfort jenseits von Backpackerrustikalität und Fünfsterneluxus will, ohne sich dabei mit devoten Dienstboten oder xenophoben Muffelköpfen zu umgeben, der wird im Isaan bestens versorgt. Die Menschen wirken aller Entbehrung zum Trotz so zufrieden, wie es westliches Anspruchsdenken nie zuließe und läge nicht das bettelarme Laos in Sichtweite, man wäre mit sich auf gediegener Fernreise völlig im Reinen.
In Chong Mek scheint es fast, als räche sich Laos beim aufstrebenden Nachbarn für diese Diskrepanz mit einem Grenzübergang, der an Hässlichkeit nicht zu überbieten ist. Vor dem gezackten Steinungetüm in Veilchenlila zeigt sich das ländliche Thailand, wenn es sich sammelt. Ein Brodem aus totem Vieh, dampfenden Garküchen, Schweiß und Gewürzen durchzieht den verwirrenden Markt des Ortes. „Taste, is good“, ruft die runzlige Verkäuferin im lindgrünen Pumaimitat und zeigt auf einen Sack Chilis. Sekunden später lacht ein Dutzend Stände; der ein oder andere mag schon probiert haben und hinterher Feuer gespuckt. Diese Fröhlichkeit, die dem Fremden selbst im abgelegensten Dorf entgegenströmt, ist sprichwörtlich für die Menschen des Isaan. So wie ihr stolzes Hilfsbedürfnis oder jene ausgeglichene Lässigkeit, mit der ein 86-jähriger Mönch von Khong Chiam den Besichtigungswünschen weit gereister Gäste in seinem unaufgeräumten Tempel nachkommt, tief im Osten, wo der Mun River den Mekong trifft. Viele Thai sind kontaktfreudig, wissbegierig, improvisationsfähig wie Samay, ein greiser Mekongkapitän, der mit seiner geschweißten Symbiose aus verschrotteter Tupolew und marodem Fischerboot Händler zur laotischen Hauptstadt schippert und unablässig redet und lacht und bohrt. Und sie sind fernsehsüchtig, gesellig, spielwütig wie Tao, der jede Info zum Quiz adelt. „Wer ist Reinkarnation Wishnus?“, fragt er auf der Fahrt zum Grenzort Nong Khai im Westen. Tao hebt stolz die Nase: „Der König!“. Galerist ist der 39-Jährige schon gewesen, Akademiker und Gastronom, ein urbaner Typ mit Bildung, Polohemd, Digicam, aber auf Gott und König, da lässt er nichts kommen. Das ist hier gute Sitte und Bürgerpflicht.
Das Reich erinnert an eine geografische Frau im Spiegel. Bhumipol, der weltweit dienstälteste Monarch, prangt samt Familie an Gangways, Kreuzungen und Brücken, in Fluren, Schlafzimmern und Büros, stets in Regenbogenfarben, überlebensgroß. Und dazwischen die lokale Spielart des Gartenzwergs: bonbonfarbene Miniaturtempel vor jeder Haustür. Wie gesagt: Thailand ist Kitschland, nur hat der Kitsch hier Tradition, seit die Khmer den Isaan vor 900 Jahren mit Tempeln pflasterten, deren Erhalt nun mit Goldfarbe, Beton und Nippeshandel betrieben wird. Der Rückweg gen Süden treibt ihn nochmals zu unfassbarer Blüte: im Skulpturenpark von Wat Khaek unweit der imposanten Bergwelt rings um Loei, wo man die Götter vor 30 Jahren zu Dutzenden in turmhohe Betonskulpturen gegossen hat. Darunter verblasst selbst die absurdeste Eigenart thailändischer Gastlichkeit: Crazy Busses, quietschbunt besprühte Doppeldecker, in denen Karaoke gesungen wird wie überall im Land. Bei schalem Bier, die Boxen nach draußen gerichtet, am Mittwochmorgen. Ein paar Kilometer zuvor, wo sich die Hochebene vom Mekong trennt, fragte ein Bauer, ob die deutschen Besucher Japaner seien. Im Isaan, so scheint es, wäre selbst Micky Maus einfach nur ein Fremder.
Anreise
LTU fliegt sechsmal die Woche nonstop ab Düsseldorf sowie dreimal ab Berlin und München nach Bangkok. Der Preis in der Economy-Class beträgt ab 249 Euro pro Flug inklusive aller Gebühren. Von Bangkok in den Isaan reist man individuell günstig per Mietwagen. Der Berliner Reiseveranstalter Geoplan Touristik GmbH organisiert zudem Rundreisen in den Nordosten.
Info: www.geoplan-reisen.de; www.thailandtourismus.de