Jordskott: Svenska Mystery & German Angst

062201-001-A_jordskott1_02Evas im Nebel

Wenn Kindern Wurzeln wachsen: Mit Jordskott (Foto: Palladium Film) zeigt Arte derzeit donnerstags und in der Mediathek einen Zehnteiler aus Schweden, der sich nur ganz kurz mit rationalen Erklärungen verschwundener Kinder aufhält und dann hemmungslos ins Mystische, ja Grimm’sche abgleitet. Das passt eigentlich ganz gut in unserer Zeit.

Von Jan Freitag

Nebel geht eigentlich immer. Schon in den knallbunten Märchen der Nachkriegszeit kündigte er gern die Hexe an, wenn sich mal wieder ein Kind im Wald verirrt hatte. Und spätestens seit John Carpenter The Fog 1980 zum Bösen selbst erklärte, wird der Spannung notorisch mit Maschinendunst auf die Sprünge geholfen. So wabert er also auch durchs dichte Gehölz rings ums schwedische Provinznest Silverhöjd, wenn Eva Thörnblad darin auf ihre Vergangenheit stößt. Eine furchtbare Vergangenheit. Das macht nicht zuletzt der dauernde Nebel deutlich.

Aus der Hauptstadt ist die schöne Kommissarin kurz zuvor ins baumreiche Dorf ihrer Jugend gereist, um dem verstorbenen Vater das letzte Geleit zu geben. Gleich nach der Ankunft jedoch wird Eva mit dem Verschwinden eines Kindes konfrontiert, das sie schmerzhaft an den Verlust der eigenen Tochter erinnert, die dort sieben Jahren zuvor abhanden kam. Angeblich ertrunken. Die Leiche wurde nie gefunden.

Sehr nebulös.

So beginnt ein Zehnteiler auf Arte, der ab heute vier Donnerstage belegt, warum skandinavisches Fernsehen zum Besten zählt, das in einer anderen als der englischen Sprache entsteht. In dem Fall hat dies abgesehen von der eigentümlichen Aura nordeuropäischer Landschaften und dem Mut zum dramaturgischen Regelbruch vor allem zwei Gründe: Krimi und Mystery, der dramatische Platzhirsch vom dunklen Rand des Alltags und sein Nebenbuhler aus dem noch dunkleren Reich der Fantasie.

Keine Viertelstunde hält sich die erste dreier Episoden von Showrunner Henrik Björn dabei mit typischer Ermittlungsarbeit auf. Kommissarin Thörnblad, wie üblich etwas arg attraktiv, aber angemessen kühl für derlei Formate, wird als Unterhändlerin der Stockholmer Polizei im Einsatz angeschossen und fährt frisch genesen heimwärts, wo ihr besagter Entführungsfall in die Nachlassverwaltung funkt. Doch bevor sie dienstlich wird, steht des Nachts ein Mädchen vor Evas Kühlerhaube, das verteufelt an ihre Tochter erinnert. Im seltsam grell erleuchteten Wald kriecht dabei wie tags zuvor in der Mittagsonne der Nebel über den Boden und kündigt jene Steigerungslogik des Grauens an, die hier ihren Anfang nimmt.

Seltsame Menschen tun seltsame Dinge. Es gibt mehr Vermisste, gar Leichen und mittendrin die holzverarbeitende Fabrik von Evas Vater, deren Ressource auf den gewohnt dämlichen deutschen Untertitel verweist: Die Rache des Waldes. Wenn jeder Baum verdächtig ist und jeder Ast beredt, wenn die Forst zu sprechen scheint und Kindern Wurzeln aus den Finger wachsen – dann wird der Wald wie Carpenters Nebel zum Protagonisten. Nur: Warum besteht an derlei übersinnlicher Grundierung eines spannungsreichen Krimis unverdrossen Bedarf?

Seit die Twilight Zone das Thema Mystery Ende der Fünfziger TV-tauglich und David Lynchs Twin Peaks daraus 1990 geradezu einen Kult gemacht hat, ist das Unergründliche ein Dauerbrenner. Outer Limits und Lost, X-Files oder Supernatural, von den Vampiren, Zombies, Geisterjägern der jüngeren Zeit ganz zu schweigen: ständig suchen Serien nach Erklärungen jenseits des Erklärbaren. Selbst hierzulande drängelt sich das Mysteriöse zwischen Morddezernate, Arztpraxen und Nonnenkloster ins Programm. Nachdem der Nischensender TNT voriges Jahr einen pfälzischen Weinberg als Tatort dämonischer Vorfälle im biederen Dorfambiente inszeniert hat, werden auch die verschwundenen Kinder der ersten Netflix-Eigenproduktion Dark bald außerhalb rationaler Deutungsmuster gesucht.

Nun ist es natürlich überinterpretiert, ausgerechnet an der Oberfläche des Bildschirms ein komplettes Spiegelbild gesellschaftlicher Entwicklungen zu suchen. Als Leitmedium mag das Fernsehen den Zeitgeist verarbeiten; letztlich aber bildet es ihn nur partiell ab, folgt also allenfalls Moden und Trends. Dennoch fällt auf, dass mit dem Aufstieg rechtspopulistischer Parteien von der Tea Party bis hin zur AfD gesteigerter Bedarf nach Letztbegründung abseits der Logik entsteht. Da wird der wissenschaftlich belegte Klimawandel zur Lüge liberaler Medien, Politiker, Konzerne, die unterm Kanzleramt heimlich die Vernichtung des deutschen Volkes steuern.

Und auf diesem Nährboden sinnfreier Paranoia gedeiht womöglich nicht nur ein rassistischer Furor à la Pegida, sondern auch der Bedarf nach fiktionaler Übernatürlichkeit, die Mysterythriller wie Jordskott dann unfreiwillig bedienen. Wird die Welt zu kompliziert, retten sich schlichte Gemüter angefeuert von Demagogen halt gern in Verschwörungstheorien, deren Mangel an Beweisen Teil derselben ist. Die Juden sind Schuld! Washington macht Amerika schwul! Ausländer nehmen Arbeitsplätze weg! Waldgeister klauen unsere Kinder!

Man kann die Tatsache, dass Arte mit letzterem sein Programm füllt, aber auch eine Stufe unaufgeregter als Beleg sehen, sich mehr zuzutrauen als Sozialdrama, Krimi und Komödie. Auch wenn ein bisschen zu viel Nebel durch die Szenerie weht und schwedische Wälder des Nachts vermutlich nur selten von 1000-Watt-Strahlern ausgeleuchtet werden: Jordskott ist nicht nur versiert gefilmt und ungemein spannend, sondern auch sehr mutig.

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One Comment on “Jordskott: Svenska Mystery & German Angst”

  1. […] Schnaps, Drogen und Stumpfsinn erträglich ist wie gewohnt Arte, wenn es die verstörend gute Mysteryserie Jordskott am Donnerstag ab 20.15 Uhr ins Staffelfinale bringt und tags drauf kurz vor Mitternacht ein paar […]


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