Elbphilharmonie: Luxus & Gewissenbisse
Posted: December 17, 2016 Filed under: 6 wochenendreportage Leave a comment
Aussicht mit Zimmer
Erst das Mövenpick im Schanzenpark, nun das Westin über der Elbphilharmonie: Hamburg hat einen Hang zu umstrittenen Hotels. Ich war in beiden früh zu Gast – und fühlte sich angemessen deplatziert. Das fanden übrigens auch viele Kommentatoren auf ZEIT-Online, die mich wütend als korrupter Günstling des Luxushotels, ergo: Lügenpressesau bezeichnen. Von daher: ruhig auch die zugehörige Meckerecke lesen.
Von Jan Freitag
Die Ruhe im Sturm ist greifbar. Bei geöffnetem Bullauge im riesigen Panoramafenster dröhnt die Stadt darunter, als läge sie nicht 90 Meter tiefer, sondern auf Ohrenhöhe. Strammer Wind treibt das Grundrauschen der Rushhour aufwärts wie ein Tornado Dachziegel. Es hupt, braust, brummt, klingelt – eine Großstadtsinfonie in Feierabendverkehrsmoll. Wenn man die ovale Klappe mit dem gewöhnlichen Griff aber schließt, wenn man das Licht dimmt und die Beine auf der Chaiselongue durchs wellig geformte Glas in die Ferne blickt, ist das abendliche Abkühlen der hitzigen City auch 19 Etagen höher fast körperlich spürbar.
So also fühlt es sich an, in der Elbphilharmonie die Nacht zu begrüßen, genauer: in jenem Teil derselben, von dem bislang noch am wenigsten zu hören war im jahrelangen Sperrfeuer selten schmeichelhafter Schlagzeilen. Hamburgs erstaunlichste Immobilie beherbergt ja nicht bloß – und das ist nur eins all der Superlative, die sich darin ständig aufdrängen – den spektakulärsten Konzertsaal des Kontinents; es gibt auch Restaurants, Studios, Flaniermeilen, Shops und ein Fünfsternehotel namens Westin, mein Domizil für die Nacht der offiziellen Eröffnung. Fast 250 Zimmer zum saisonal variablen Preis von rund 300 Euro aufwärts, die sich in der größten von 39 Suiten schon mal verzehnfachen. Pro Nacht, versteht sich. Es ist also ein etwas absurdes Domizil für kritische Begleiter der wachsenden Ungleichheit in Stadt, Land, Welt wie mich.
Und nicht das erste.
Denn ich habe schon mal ein nobelgastronomisch aufgewertetes Baudenkmal beruflich bewohnt: Neun Jahre, bevor ich im aufgestockten Kaispeicher A auf Hotelkosten einchecken konnte, um architektonische Eleganz im Zusammenspiel mit elitärer Servilität zu lobpreisen, wurde mir das gleiche Wohlfühlpaket zum selben Zweck vom Wasserturmhotel spendiert. Eine Nobelherbere der Marke Mövenpick, unter massivem Polizeischutz im Schanzenpark errichtet auf den Trümmern geplatzter Träume vom Wohnviertel von allen für alle. Als ich dort damals in einer kalten Herbstnacht eingecheckt habe, überkam mich von Beginn an dieses nagende Gefühl des Hochverrats: an meinen Idealen, weil ich seit dem ersten Spatenstich lautstark dagegen protestiert hatte. An meinem Umfeld, weil die Artikel in diversen Medien trotz aller Kritik am Objekt auch Werbung dafür gemacht haben. Und nicht zuletzt: am Betreiber, auf dessen Kosten ich es mir eine Nacht lang mit fantastischem Panoramablick über die halbe Stadt, Abendessen und Wellness inklusive, mal so richtig gut gehen ließ.
Richtig schäbig kam ich mir damals vor. Und nicht nur mir, sondern auch dem Umfeld der anderen Hotelgegner im Alternativviertel, die aus Verachtung über meine Anbiederung in verbündeten Blättern von taz bis FR ein Plenum in der Roten Flora einberufen wollten, auf dem ich mich rechtfertigen sollte. Passiert ist dann doch nichts, weshalb ich es jetzt gefahrlos wieder tun konnte: Im luxusgastronomischen Ostflügel von Ole von Beusts Prestigeprojekt einzuchecken, dessen Budget sich bei dreifacher Bauzeit verzehnfachte und bis zur Fertigstellung im Oktober millionenfach mehr Protest hervorgerufen hatte, als bei seriöser Prognose!
Hier zu nächtigen, fühlte sich aber aus einem anderen Grund falsch: der Umbau betrifft mich höchstpersönlich und das gleich doppelt! Ich selbst lebe ganz in der Nähe, leide also sehr unmittelbar unter der permanenten Aufwertung des Viertels, die ja doch nur eine für die Reichen bis Superreichen ist. Und dann hat auch noch mein Vater 20 Jahre im Kaispeicher A gearbeitet, als es noch ein Lager für Handelswaren war. Erst als Schauermann, dann Stauerviz, zuletzt als Speicherleiter, der mich sonntags oft mitnahm, wenn Extraladungen amerikanischer Superheldencomics oder Plastiksporthosen aus Fernost umzupacken waren.
Peter Freitag war Hafenarbeiter durch und durch, den allein der Krebs davor bewahrte, seinen alten Arbeitsplatz im Griff von Steppjackenträgern in Wildlederslippern zu sehen wie nun sein Sohn, der das natürlich nicht ganz so emotional sieht, aber durchaus kritisch – da kann die österreichische Hotelmanagerin Dagmar Zechmann ihre Eröffnungsgäste noch so integrationswillig mit „Moin“ begrüßen und auch sonst viel Mühe darauf verwenden, lokales Flair in ihr Globalisierungsprodukt zu stopfen. Das Personal wurde im Millerntor-Stadion gecastet, die Innenarchitektur ist bullaugig wie so vieles, was an der Elbe Neues entsteht, um Altes zu heucheln. Überall unterm wellenförmigen Dach gibt es Referenzen ans Hafenambiente; hier sorgsam drapiertes Treibholz im Spa, dort fotografierte Kiezimpressionen (Onkel Otto!) auf den Gängen, an der Rezeption in geschwungenem Holz bläst ein Bildschirm mit Dampfer virtuellen Filmrauch zum historischen Kaiserspeicher an gleicher Stelle. Hamburg Alaaf!
Alle Referenzen an die christliche Seefahrt vergangener Tage sind schließlich eher Pose, also bestenfalls gut gemeint. Was aber wirklich authentisch ist, ja wahrhaftig: Dieser Ausblick! Der Hafen von heute in seiner modernisierten Pracht. Langsam schält er sich an diesem winterlichen Dezembermorgen vorm Standardzimmer 1944 aus der Dunkelheit. Links, noch schlafend, die Landungsbrücken in ihrer touristischen Pracht, rechts das Superreichenghetto Marco-Polo-Tower, den der Industriedreck ringsum langsam zur Walking-Dead-Kulisse verwittert, dazwischen das winzig kleine Morgengewusel der Hafen City, als wäre das nahe Miniaturwunderland kurz auf die Straße gewandert.
Über ein Dutzend Kirchtürme hinweg kann man nordwärts bis Schleswig-Holstein blicken, vom höchsten Gebäude ohne kirchliche Weihen weit und breit, das seinerseits fast sakral verklärt wird. Ein Wunder von Wahrzeichen, mindestens. „Sie haben kein Zimmer mit Ausblick, sondern ein Ausblick mit Zimmer“, schwärmt Hotelchefin Zechmann und hat noch nicht mal Unrecht. In einem Hotel, das in der Startphase mehrheitlich Einheimische bewohnen – so umstritten, überteuert, elitär, spalterisch, überdimensioniert wie das im Schanzenwasserturm. Und ebenso schön.