Auch in der zweiten Staffel der hinreißend komischen HBO-Serie Insecure zeigt deren ebenso fantastische Show-Runnerin Issa Rae seit ein paar Tagen auf Sky, wie man sich mit viel Humor und großer Wahrhaftigkeit aus der Zwickmühle befreit, in Fernsehen und der Realität eine schwarze Frau, aber nicht heiß und devot zu sein.
Von Jan Freitag
Issa Rae dürfte es im Grunde gar nicht geben, zumindest nicht am Bildschirm, wo der Mainstream genannte Hauptstrom des berechenbaren Massengeschmacks die Fließrichtung dirigiert. Jo-Issa Rae Diop, wie die sie vor 32 Jahren in Los Angeles getauft wurde, ist nämlich eher derbe als lieblich, geschweige denn hiphopvideosexy. Sie ist zudem: wenig modebewusst, schwer zu handhaben, ziemlich burschikos, und sie ist dunkelhäutig, vulgo schwarz. Zusammengenommen bildet all das eine Kombination, die man im Fernsehen allenfalls auf den Nebenschauplätzen ulkiger Sitcoms mal trifft, aber praktisch nie an vorderster Front des Leitmediums, ob linear oder gestreamt.
Andererseits: Issa Rae gibt es genau dort sehr deutlich. Und zwar derart zum Niederknien, dass man ihr noch ein paar Tausend ähnlicher Hauptrollen wünscht wie die in der HBO-Serie Insecure. Es ist die Geschichte der akademisch gebildeten, aber beruflich unterforderten Volkshochschullehrerin Issa, die nicht ohne Grund so heißt wie ihre Darstellerin, Erfinderin, Autorin, Produzentin, Regisseurin. Ohne als explizit autobiografisch präsentiert zu werden, machte sich Issa Rae vor einem Jahr zum TV-Abbild ihrer selbst und kreierte damit einen Typus Fernsehfigur, den es bis dahin eigentlich nur einmal gab: Von, über und mit Issa Rae als Awkward Black Girl in der gleichnamigen YouTube-Serie, auf die Insecure lose aufbaut .
Übersetzbar mit „verunsichert“, aber auch „ohne Absicherung“ porträtiert die Fortsetzung ab heute (9. Oktober) bei Sky wieder zwei kalifornische Frauen am Rande der 30, von denen die eine (Issa Rae) in langjähriger Beziehung (Jay Ellis) nach der alltäglichen Erfüllung sucht und die andere (Yvonne Orji) als erfolgreiche Anwältin nach der emotionalen. In den ersten acht Folgen sorgte das Ende 2016 für ein hinreißend komisches, zugleich jedoch äußerst tiefgründiges Stück feministischer Emanzipation vor afroamerikanischem Hintergrund. Aber auch jetzt schaffen es Issa und Molly, fast alle Klischees schwarzer Lebensentwürfe im weißen Mehrheitsamerika gleichsam aufzutischen und abzuräumen.
Von der viel zitierten Körperlichkeit dunkelhäutiger Menschen über ihren Opferstatus im american way of life bis hin zum vermeintlichen Rhythmus im Blut, das bei Issas lausigen Rap-Versuchen vorm Badezimmerspiegel gerinnt – unter der tatkräftigen Mithilfe des versierten Fernsehautors Larry Wilmore (The Office) wird praktisch jedes Vorurteil lustvoll inszeniert, um sodann auf ebenso kluge wie unterhaltsame Art und Weise untergraben zu werden. Schließlich haben Issa und Molly stets alle Fäden in der Hand – gerade wenn erstere in der zweiten Staffel wieder solo ist und dank ihrer ewigen College-Freundin den Markt sondiert.
Denn dabei geht es keineswegs immer nur um Romanzenaspekte wie „Mr. Perfect“ und was frau dafür anstellen sollte, ihm zu genügen. Verhandelt wird grundsätzlich auch die Rolle der doppelten Diskriminierung als weiblich und nicht-weiß. Was die beiden Hauptdarstellerinnen allerdings mit einer so grandiosen Schnodderigkeit tun, dass von Larmoyanz keine Spur ist. So viel subtile Befreiungsprosa gab es – zumal im Comedyfach – bislang selten. Und aus diesem Bewusstsein heraus wird dann besonders Issa Rae das, was ihr im Grunde gar nicht so wichtig ist: ungemein sexy. Es ist allerdings eine Erotik von innen, aus Lebensfreude und Intelligenz, Spontanität und Selbstachtung. Viel Glück dabei, Issa! Mögest du noch viele Rollen wie diese schreiben, drehen, spielen.
Wer glaubt, journalistische Unabhängigkeit funktioniere nur frei von echter Empathie, kennt den Modertor Jimmy Kimmel schlecht. Kurz nach dem nächsten furchtbaren, aber höchstwahrscheinlich folgenlosen Amoklauf mit einem legal erworbenen Massenvernichtungswaffenarsenal in den massenvernichtungswaffenarsenalsüchtigen USA, hat der Late-Nite-Talker zutiefst betroffen gegen diesen Irrsinn Stellung bezogen. Mit tränenerstickter Stimme stellte er die Apologeten schrankenfreier Selbstverteidigung vor laufender Kamera an den Pranger und zeigte Fotos jener Senatoren, die jüngst gegen Kaufbeschränkungen frei erhältlicher Waffen für psychisch Kranke gestimmt haben. Immer wieder fragt Kimmel sichtlich berührt, wieso Dummheit über den Verstand siege könne.
Das war nicht besonders objektiv, es war im Gegenteil sogar recht tendenziös. Aber es war auch deshalb so wirkmächtig, weil Jimmy Kimmel ausnahmsweise kein Linksliberaler ist wie so viele seiner Kollegen jenseits des rechten Hetzkanals Fox. Sondern ein Mann der Mitte, im Rust- und Bibelbelt fast ebenso beliebt wie an Ost- oder Westküste. Hoffen wir, dass er überall gehört wurde. Verlassen sollte man sich darauf nicht. Nicht in Zeiten wie unseren, die sich von Brennpunkt zu Brennpunkt zur nächsten Horrormeldung aus dem Schreckenskabinett drastischer Einzelereignisse hangelt, scheinbar zügig auf dem Weg in jene Epoche, der in dieser Woche endlich angemessen gehuldigt wird – und nein, damit sind nicht die frühen Neunziger gemeint, als RTL mit Formaten wie Der Preis ist heiß, das ab heute um 17.45 Uhr (direkt vor den Neuauflagen von Familien-Duell, Ruck-Zuck und Glücksrad) wiederbelebt wird, das Unterhaltungsfernsehen, nun ja, neu definierte.
Die Frischwoche
9. – 15. Oktober
Es geht um Babylon Berlin, das Filmporträt jener funkensprühenden Jahre unmittelbar vorm dunkelsten Kapitel der an dunklen Kapiteln ja keinesfalls armen deutschen Geschichte. Am Freitag ist es soweit, dann geht Tom Tykwers Serie, mit knapp 40 Millionen Euro für 16 Folgen à 45 Minuten die bislang teuerste aus hiesiger Produktion, bei Sky auf Sendung, bevor sie Ende kommenden Jahres auch im Ersten zu sehen sein wird. Und nach allem, was von der ersten linear-privaten Koproduktion dieser Art bislang zu sehen war, wird es exakt jenes grandiose Ereignis, das dem Publikum über Jahre angekündigt wurde: Deutsches Fernsehen auf Weltniveau.
Verrückt.
Da kann der ZDF-Zweiteiler Tod im Internat trotz Starbesetzung von Nadja Uhl bis Joachim Król nicht mithalten. Der Politthriller im Schulschlossambiente will am Montag und Mittwoch zur besten Sendezeit einfach nur das, was erfolgversprechend ist: Sozialkritik mit Emotionen zu solider Krimiunterhaltung verkleben. Das wäre völlig okay, wenn das wirklich ambitionierte Roadmovie Detour mit der wundervollen Luise Heyer als Mutter bei der abenteuerlichen Rettung ihrer Beziehung heute nicht erst kurz nach Mitternacht im Zweiten liefe. Oder wenn es wie vorm dualen System mal wieder den Mut gäbe, etwas wie die NDR-Kurzfilmnacht nicht parallel kurz vor Mitternacht bis 3.05 Uhr laufen zu lassen.
Oder drei Tage später die zehn Beiträge der Filmhochschule Babelsberg zum Experiment HEIMAT.Film zur Geisterstunde im Hessischen Rundfunk. Oder. Oder. Oder. Bisschen wagemutig wird es anderswo. Auf Arte zum Beispiel, wo die belgische Seriengroteske Sylvia’s Cats ab Dienstag um 21.45 Uhr zehnmal von einer Frau erzählt, die ihrer desolaten Ehe ausgerechnet in ein Bordell entkommt, wo sie zur Puffmutter aufsteigt, während zugleich ein uralter Mord aufgeklärt wird. Skurril wird es auch, wenn der tristeste Komiker im Land – Nico Semsrott – am Samstag um 20.15 Uhr auf 3sat sein Soloprogramm Freude ist nur ein Mangel an Information zum Besten geben darf. Und die absurde Superheldenpersiflage The Tick um eine unverwundbare, idealistische, wohlmeinende, aber leider etwas selbstverliebte Zecke im Kampf mit dem Bösen startet am Freitag bei Amazon Prime, eine Art Superschurke der Konsumgesellschaft.
Da fällt der Übergang zur farbigen Wiederholung der Woche nicht schwer. Es ist die Sage vom Urzeitfantasysuper-, hüstel: Helden Conan, der Barbar (Donnerstag, 20.15 Uhr, Tele5), der 1984 einen gewissen Arnold Schwarzenegger ins Rampenlicht katapultierte. Ein Fokus, dem sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Uwe Barschel 1987 durch Suizd in der Badewanne entzogen hat – glaubt man zumindest der offiziellen Version. In Kilian Riedhofs halbrealer Fiktion Der Fall Barschel (Dienstag, 20.15 Uhr, 3sat, mit anschließender Dokumentation) hingegen versuchen zwei Journalisten zum 30. Todestag auf Biegen und Brechen ein Komplott zu enthüllen, was 2016 zum Besten zählte, was das Fernsehjahr hervorgebracht hat. Die schwarzweiße Wiederholung widmet sich einer anderen Berühmtheit: Mata Hari, 1964 verkörpert durch die unvergleichliche Jeanne Moreau (Montag, 22.15 Uhr, Arte). Und abschließend noch zum Alt-Tatort – diesmal Nr. 244 von 1991: Der Schimanski-Fall Bis zum Hals im Dreck, am Dienstag um 23.40 Uhr im WDR.
Es gibt Musik, die kann wohl nur in England entstehen, und meistens ist es eine, die sich ihrer Unvollkommenheit vollkommen bewusst ist, ohne es gleich so furchtbar raushängen zu lassen. Kein Wunder also, dass Punkrock von der Insel kommt und das, was man etwas amorph als DIY bezeichnet, ein Sound, der halbfertig klingt und zugleich kleinteilig, versiert, intensiv. Ein Sound wie der von den Cassels. Gitarre, Drums, ein Mikro – das reicht Loz und Jim Beck aus den Niederungen der britischen Provinz dicke aus, um damit eine Wucht zu erzeugen, die sprachlich, musikalisch, atmosphärisch einer Mischung aus Sleaford Mods, Billy Bragg und The Clash erinnert.
Mit grandioser Hingabe zerschreddern die neun Stücke des brüderlichen Debütalbums Epithet jede Art von Liedstruktur in vielfach fast mathematischem Spielwitz, enden dabei allerdings selten im Chaos und falls doch, ist es genauso gemeint, besonders in den finalen Phasen der Songs. Ein fantastischer, ebenso schwelgerischer wie sozialkritischer Track wie You Turn On Utopia zum Beispiel wechselt scheinbar wahllos und doch so klug zwischen Popfolkappeal und Punkbrett, Poesie und Hardcore, dass die Gesichtszüge beim Zuhören im schnellen Wechsel sämtliche Emotionen abklappern. Ein Album für Wut, Intellekt und Spaß in einem – das ist die kleine Sensation des Augenblicks.
Cassels – Epithet (Big Scary Monsters)
Beliefs
Shoegazing war schon immer ein Missverständnis. Wer dieser schwelgerischen Variante des Postrock seit den frühen Neunzigern zugerechnet wird, sieht ja nicht bloß wie vielfach kolportiert aus Schüchternheit auf die Füße statt ins Publikum, sondern weil die ausufernden Gitarrenteppiche größter Konzentration bedürfen. Beim kanadischen Shoegaze-Duo Beliefs ist die Scheu vor den Blicken der Zuhörer verglichen mit dem Konzentrationsbedürfnis sogar noch etwas nachrangiger. Auf dem neuen Album nämlich mischt sich weit mehr technoides Raunen ins analoge Klanggewebe als bei den zwei Vorgängern. Das macht Habitat experimenteller, expressionistischer, radikaler, trotz der verstörenden Noise-Elemente aber auch interessanter und dabei überaus hörbar.
Dennoch legen es Jesse Crow und Josh Korody im Grunde nicht mehr auf Hörbarkeit an. Der Popappeal früherer Tage wird so lang ins Stahlbad des Industrial getaucht, bis es nach einem Mix aus Sonic Youth und Aphex Twin klingt, den Jesse Crowes angenehmer Sopran regelmäßig zurück auf den Boden der Eingängigkeit holt. Sollte das der Plan gewesen sein, ist er gelungen. Dennoch: Habitat ist definitiv eher was Alternativefans als Shoegazer, besonders die scheuen.
Beliefs – Habitat (Dead Oceans)
Jordan Rakei
Nina Tune, eines der angesehensten Independent-Labels überhaupt, ist nicht grad bekannt für sein Soul-Portfolio. Von London aus geht ja gemeinhin eher elektronische Avantgarde um die Welt als sentimentale Geschmeidigkeit. Es gibt also nur zwei Gründe, warum Jordan Rakei den Nachfolger des selbstveröffentlichten Debütalbums Cloak dort rausbringt: sein Soul ist weder sentimental noch geschmeidig oder digitaler als im vorwiegend analogen Genre üblich. Die Auflösung wirkt überraschend und einleuchtend zugleich: die Aura, vor allem aber der Gesang von Wallflower ist vielfach bis zur Rührseligkeit gefühlig.
Der Multiinstrumentalist aus Neuseeland unterfüttert allerdings fast jede seiner elf eigenhändig eingespielten Kompositionen mit einer so eleganten Portion elektronischer Spielereien, dass daraus – ergänzt durch Virtuosen von Rock bis Jazz – ein vielschichtiges Stück Synthsoul entsteht. Schon der Opener Eye to Eye wandelt sich nach etwas warmem Gitarrengeklimper über ein paar atonale Bridges hinweg zu einer Art Free-R’n’B mit unterschwelligem Bassraunen, der sein Heil spürbar nicht in Harmonie sondern Verstörung sucht. Rakeis Seelensound gleicht somit einer Psychoanalyse im Partykeller: Tiefgründig, aber elegant und tanzbar.
Martin Brambach hat sich zu einem der Stars des deutschen Films entwickelt. Warum, das zeigte er zuletzt am Einheitsfeiertag als Titelfigur der halbrealen Wende-Groteske Willkommen bei den Honeckers (zu sehen noch in der ARD-Medieathek). Ein Gespräch über Witzfiguren in der Tyrannei, seine Jugend unterm Staatsratsvorsitzenden und wie er mal mit drei Adolf Hitlers im Raum saß.
Von Jan Freitag
Herr Brambach, als man Sie gefragt hat, den fast achtzigjährigen Erich Honecker zu spielen – was ist Ihnen da als Erstes durch den Kopf geschossen?
Martin Brambach: Na welche älteren Kollegen haben denn da bitteschön abgesagt…
Und als Zweites?
Habe ich mich sehr gefreut über diese Aufgabe. Schon weil es so ungewöhnlich ist, eine solch bekannte Figur der Zeitgeschichte in ihrer Ambivalenz, also abseits all der Bilder zu spielen, die man von ihr im Kopf hat. Das war nicht nur wegen des Altersunterschiedes spannend.
Also gar nicht so sehr maskenbildnerisch?
Nee, die kriegen ja mittlerweile fast alles hin. Einen alten Mann dramaturgisch glaubhaft zu machen, den dazu auch noch jeder genau zu kennen glaubt – das ist herausfordernd.
Zumal er Sie selbst die ganze Jugend hindurch als Staats- und Parteichef begleitet hat.
Ich bin 1984 als Siebzehnjähriger in den Westen gekommen, aber bis dahin gab es seit ich denken konnte in der Tat nur Erich Honecker da oben.
Was war denn da ihr persönliches Bild von ihm?
Na ja, als er Mitte der Siebziger Staatsratsvorsitzender wurde, hieß es zunächst mal, jetzt gehe es wirtschaftlich aufwärts, und als ich so mit zehn Jahren kurz darauf bei den Jugendweltfestspielen in Berlin war, dachten Kinder wie wir halt schon, alles sei gut. Nachdem ich begonnen habe, mir eine eigene Meinung zu bilden, wurde er allerdings zügig zur Witzfigur, die man nicht richtig ernst nehmen kann.
Wenngleich eine mit teils tödlicher Wirkung…
Und trotzdem war es für die Beschäftigung mit der Rolle wichtig, ihn als jemanden darzustellen, der an das, was er getan, auch wirklich geglaubt hat. Dieser Dachdecker war ja aus tiefster Überzeugung Antifaschist. Das macht Schießbefehl, Umerziehungslager, den Mauerbau nicht besser, aber plausibler. Umso mehr ist bei mir hängengeblieben, dass in Wandlitz nach der Wende eine Pornosammlung gefunden wurde. Da verbietet er den Leuten unter Androhung des Todes, den dekadenten Westen zu sehen, und deckt sich zuhause mit allem daraus ein? Was für eine Pervertierung seiner eigenen Ideale…
Ist die Interpretation Ihres Film-Honeckers also auch persönlich geprägt?
Absolut, gerade die Worthülsen in dieser Stimmlage – das klingt mir noch im Ohr nach und fließt ins Spiel mit ein. Aber natürlich auch das Uneinsichtige, Starrköpfige am Täter Honecker, der Anfang der Neunziger in einem ARD-Interview zum Schießbefehl meinte, niemand sei zur Flucht gezwungen worden. Dennoch wollte ich ihn mit meiner Darstellung nicht denunzieren.
Wird der Film nach 60 eher ulkigen Minuten, in denen der Reporter seine Reise nach Chile vorbereitet, auch deshalb plötzlich so ernst, als Ihr Erich Honecker auftaucht?
Genau. Wir wollten halt keine Karikatur kreieren, sondern den Menschen, der auf der Zielgerade seines Lebens ebenso betrogen wird, wie er zuvor viele andere betrogen hat. Das macht die Komödie am Ende zur Tragödie.
Besteht dabei nicht die Gefahr, dass beim Publikum Mitleid mit diesem gebrochenen alten Mann übrigbleibt?
Die Frage, ob man solche Täter als Menschen zeigen muss, kam ja schon bei Bruno Ganz als Adolf Hitler im Führerbunker auf. Meine Antwort: Man muss! Es waren ja welche. Wenn mir gelingt, Erich Honecker in dieser Ambivalenz darzustellen, sehe ich das demnach als Kompliment. Andererseits geht es auch um einen Reporter, der für sein Ziel alle ethischen Prinzipien über Bord wirft. Mein Mitleid für die Honeckers hält sich zwar in Grenzen, aber da treffen doch zwei sehr fragwürdige Figuren aufeinander.
Können Sie sich an diesen real existierenden Medienscoop erinnern?
Nein. Und ich habe zuerst auch gar nicht geglaubt, dass die Story wahr ist. Dann hab ich aber sogar den Journalisten von damals getroffen. Irre Geschichte! Ich muss allerdings zu meiner Entschuldigung sagen, bis Ende der Neunzigerjahre in Österreich gelebt zu haben; da war es wohl weniger ein Thema, was ein deutsches Magazin abdruckt. Die Wende ist seltsamerweise ein bisschen an mir vorbeigegangen.
Vielleicht auch, weil Sie von der ganzen Sache DDR die Schnauze voll hatten?
Ich wollte die Phrasenhaftigkeit des Systems damals schon möglichst weit hinter mir lassen. Schließlich hat nicht nur Honecker so geredet, als ginge es selbst beim Altpapiersammeln um die Weltrevolution, sondern jeder Staatsbürgerkundelehrer, FDJ-Funktionär oder Volkspolizist. Mit dem heutigen Abstand jedoch finde ich all dies schon wieder spannend.
Wenn man Sie mit kaum 50 einen Mann spielt, der 30 Jahre älter ist – sind den Möglichkeiten als Schauspieler jetzt eigentlich überhaupt noch Grenzen gesetzt?
Nein, keine mehr (lacht laut). So ein Greis ist körperlich wie inhaltlich eine Riesenherausforderung, die aber auch ungemein Spaß macht. Ein echtes Geschenk. Da bleibt mir glaube ich keine Figur der Zeitgeschichte mehr verschlossen.
Gibt es eine, die Sie sich förmlich wünschen?
Ach, da gibt’s so viele, besonders von den widersprüchlichen. Für Deutsche ist es sicherlich am schwierigsten, Faschisten so zu spielen, dass auch Empathie mit ihnen möglich ist. Deshalb ist das – trotz der Masse an Schauspielern, die es bereits versucht haben – nur in den seltensten Fällen geglückt, Adolf Hitler glaubhaft zu machen. Tobias Moretti war mal in Speer und Er ganz toll darin.
Entfacht es da nicht umso mehr Ihren Ehrgeiz, es selber mal zu versuchen?
Ach nee. Aber immerhin hatte ich mal ein Casting, damals bei diesem Film über Rommel, auf dem seinerzeit noch der Heiner Lauterbach saß. Bei dem Termin waren vier Hitlers in Kostüm und Maske – alle völlig verschieden und ich dabei. Ich hatte also meinen Auftritt.
Also gut: die, deren Namen man nicht aussprechen soll, sitzen in Fraktionsstärke an einem Ort, der seither seltsam entweiht zu sein scheint, weshalb all jene, die eigentlich zur dauernden Thematisierung verpflichtet sind, nicht mehr so recht wissen, ob sie mit ihrer Berichterstattung am Ende nicht all jene, deren Namen man wie gesagt nicht ausspricht, überhaupt erst dorthin gebracht hat, wo sie nichts zu suchen haben. Ach, es ist echt kompliziert mit der medialen Begleitung von Populisten, deren einziger Treibstoff nun mal diese Begleitung ist.
So gesehen muss man sogar froh sein, dass die Unaussprechlichen bislang keinen richtig echten Steve Bannon zur Seite haben, dessen rechtsextreme Plattform Breitbart vor fast einem Jahr Donald Trump ins Weiße Haus gehetzt hat. In Österreich allerdings wächst gerade die Sorge, dass Dietrich Matteschitz nun derart populistische Publizistik betreibt. Während sein Feelgood-Sender ServusTV bislang schon nicht durch Kritik an irgendwas aufgefallen ist, das dem Zuckerbrausedosenmüllmilliardär missliebig sein könnte, wird sein investigatives Online-Medium „Addendum“ bereits als „Bullbart“ verspottet.
Mit dem will Mateschitz nach eigener Aussage zwar vor allem vertieften Journalismus bieten; da sich Österreichs mächtigster Tycoon jedoch zuletzt bedenklich zur Flüchtlingsfrage geäußert hat und den Klimawandel seiner Planetenverheerung gemäß für ein Märchen halten dürfte, droht da eher Propaganda in eigener Sache. Und die wirkt dann gewiss auch auf unseren Markt, der für Red Bull ungemein bedeutend ist. Zum Tag der deutschen Einheit könnte die mediale Lage im Land also kaum zwiespältiger sein. Und dann verbannt das ZDF auch noch seine groß angekündigte, aber furchtbar missratene Journalismus-Serie Zarah mangels Erfolg auf den Spartenkanal Neo.
Die Frischwoche
2. – 8. Oktober
Beim Mutterschiff dagegen startet heute zur publikumsfreundlichen Mitternacht der Vierteiler Stunde des Bösen, in der Nachwuchsregisseure vier Montage zu nachtschlafender Zeit die menschlichen Abgründe erforschen. Den Anfang macht Astrid Schults Thriller Winterjagd mit Carolyn Genzkow als junge Frau, die sich einen Alt-Nazi zur Brust nimmt – den ausgerechnet der Holocaust-Überlebende Michael Degen spielt. Ebenfalls Neulingen gewidmet ist der SWR-Schwerpunkt Junger deutscher Dokumentarfilm. Ab Mittwoch bietet er bereits zum, 17. Mal Sachfilm-Rookies eine Plattform. Zum Auftakt nutzt sie Aslý Özarslan für ihr Porträt der deutschen Kurdin Leya, die am Ort ihrer Wurzeln zur jüngsten Bürgermeisterin der Region gewählt wird.
Tief gläubig, aber auch überaus bizarr wird es im Till Endemanns stillen, aber aufwühlenden ARD-Mittwochsfilm So auf Erden. Das real existierende Ehepaar Edgar Selge und Franziska Walser spielt darin ein fiktionales Ehepaar evangelikaler Prediger, das im Gewitter weltlicher Versuchungen zu bestehen versucht. Eher ungläubig, aber keinen Deut weniger absurd ist Dietrich Brüggemanns Kino-Groteske Heil (Arte, 22.25 Uhr) um einen Afroamerikaner, der wegen einer Amnesie plötzlich Naziparolen faselt und so zum Medienstar der Rechten wird.
Tags zuvor, dem Namen nach der deutschen Einheit gewidmet, geht es aber von morgens bis abends um alles rund um die sogenannte Wende. Darunter sind so unterschiedliche Werke wie Ein Herz und eine Seele, wo Ekel Alfred um 16.25 Uhr im WDR passenderweise Besuch aus der Ostzone kriegt. Brandneu dagegen ist die Komödie Willkommen bei den Honeckers zur besten Sendezeit im Ersten. Nach realen Motiven kriegt die Titelfigur darin 1991 ungebetenen Besuch von einem Bild-Reporter, der sich 1991 unterm Vorwand, ein kommunistischer Fan zu sein, bei den zwei abgehalfterten Ex-Diktatoren einschleicht. Johanna Gastorf und Martin Brambach spielen Margot und Erich Honecker dabei so wahrhaftig, zugleich lustig, aber nie verächtlich, als seien sie es wirklich.
Um all dies abzüglich des Humors ging es Veronica Ferres vor zehn Jahren zweifellos auch in ihrer Rolle als Die Frau vom Checkpoint Charlie (ARD, 1.00 Uhr). Dass das Melodram am Ende doch oft unfreiwillig komisch geriet, liegt dann halt an der Hauptdarstellerin, die von Understatement und Augenzwinkern vermutlich weniger versteht als von Spiralgalaxien. Dann doch lieber echter Humor mit Hintersinn wie Good Bye, Lenin! um 20.15 Uhr auf 3sat oder zur Abwechslung mal etwas, das seinerzeit durchaus heiter sein wollte, obwohl es um Mord und Totschlag ging: in der schwarzweißen Wiederholung der Woche zeigt Kabel1 am Dienstag ab 16.30 Uhr gleich vier der legendären Wallace-Verfilmungen aus den Sechzigern Mit Käuzchen, Kunstnebel und Frauengeschrei lässt sich der Feiertag mit Der Fälscher von London, dann Das Indische Tuch, zwischendurch Der Frosch mit der Maske und zum Finale Der grüne Bogenschütze ganz gut überstehen.
Dagegen wirkt der erste Tatort von Ballauf/Schenk trotz seiner 20 Jahre auf dem Buckel fast modern. Aber eben nur fast. Eingeleitet wird Willkommen in Köln am Dienstag im WDR (22.30 Uhr) übrigens eine Dreiviertelstunde zuvor mit einer kleinen Geburtstagsdoku an die zweitdienstältesten Ermittler. Happy Birthday! Gefolgt von einem tieftraurigen Nachruf: Andreas Schmidt, einer der überraschendsten, vielschichtigsten, besten Schauspieler im Land ist nach schwerer Krankheit mit nur 53 Jahren gestorben. Fairwell, liebste Bohnenstange!