AB Syndrom, Jo Goes Hunting, Naked Giants

AB Syndrom

Vor drei Jahren, die Welt drehte sich zwar im gleichen Tempo, war aber irgendwie doch eine völlig andere, tropfte plötzlich ein seltsam hybrider Elektropop aus den Boxen, der zugleich altbekannt und ziemlich neu klang. Es war das zweite Album des Berliner Duos AB Syndrom und schaffte es in ein und derselben Tonabfolge spielend, Bauch, Kopf und Seele überfallartig zu erreichen. Nun weckt eine Plattenkritik, die sich zu lang beim Vorgänger aufhält, naturgemäß den Verdacht, der Nachfolger halte da nicht mit. Und in der Tat: verglichen mit Hallo Herz ist Plastik nicht der ganz große Wurf. Einerseits. Denn verglichen mit dem großen Rest dieses kitschanfälligen Stils ist es andererseits wirklich wunderbar.

Der Songwriter Bennet Seuss und sein Schlagzeuger Anton Kırık schaffen es schließlich abermals, die loungig-gediegene Atmosphäre ihrer digitalen LoFi-Gespinste mit einem wattierten HipHop zu kombinieren, dass einem die Knie ganz weich werden und man sich hinlegen muss, am besten in eine Hängematte mit Seeblick. Besonders die pluckernde Percussion sorgt dann dafür, dass die getragene Aura nicht ins Schläfrige abgleitet und immer noch ein Aufspringimpuls zurückbleibt. Plastik ist die Quintessenz des Berliner Cool ohne Metropolengehabe, nicht so gut wie früher, immer noch besser als die Gegenwart im Ganzen.

AB Syndrom – Plastik (Herr Direktor)

Jo Goes Hunting

Wenn PR-Abteilungen ein Produkt beschreiben, muss man die Adjektiv-Kaskaden darin stets mit einer gewissen Vorsicht genießen. Falls allerdings das liebenswerte Alternative-Label Backseat eine Neuerwerbung im Portfolio mit “Beitrag zu mehr Kreativität und Mut im Indiepop” bewirbt, darf man kurz mal Milde walten lassen und dem Werbesprech ein wenig Aufmerksamkeit widmen. Denn Jo Goes Hunting ist genau das: kreativ und mutig, nur ohne verstiegen oder experimentell zu sein. Auf dem seifigen Feld der musikalischen Harmonielehre ist das ausgesprochen ehrgeizig, daher überaus selten und in diesem Fall sogar ziemlich hinreißend. Was vor allem an Jimmi Jo Hueting liegt.

Der singende Drummer aus den Niederlanden hat sich nämlich eine Kapelle zusammen gesucht, die seinem Anspruch von hörbarer Exzentrik Folge leistet. Auf dem Debütalbum verbindet das – so sagt man heute: Projekt Artrock, Discopop und New New Wave zu einer windschiefen, formschönen Mixtur aus englischen Vocals und globalen Arrangements, die an Grizzly Bear oder das deutsche Odd Couple erinnert. Nachdem das Ganze in Holland bereits alle Feuilletons begeistert hat, erscheint Come, Future nun auch hierzulande und dürfte die Hinwendung zum Sound des Nachbarlands weiter verstärken. Schon richtig so.

Jo Goes Hunting – Come, Future (Backseat)

Naked Giants

Seattle – wem es da nicht in den Ohren klingelt, ist entweder vorm Vietnam-Krieg geboren, nach dem Irak-Krieg oder anderweitig aus der Zeit gefallen. Seattle, das war vor bald 30 Jahren die Geburtsstadt dessen, was unterm Label Grunge den Rock mit einer Prise Punk wiederbelebt hat. Wenn eine Band wie Naked Giants von dort stammt, liegt die Messlatte demnach ganz schön hoch. Unter Revolte anzetteln oder Bilder stürmen läuft da wenig. Beides schaffen die drei Freunde von der nördlichen Westküste nicht. Alles andere, was mit ihrem Ursprung in Zusammenhang steht, aber schon: eine räudige, verwaschene, filigrane Spielfreude zum Beispiel, der man die Garage anhört.

Ihr Debütalbum Sluff klingt daher ein bisschen danach, wofür es steht: South Lake Union Fuck Face, was zwar mit der Tech-Branche zu tun hat, die Seattle seit längerem im Griff hat, mehr aber noch mit einer rotzigen DIY-Attitüde, die jedem der zwölf Postpunkohrfeigen entströmt. Mit kreischender Sixtiespsychorockgitarre, dem apokalyptisch drängenden Bass des Sängers Gianni Aiello und einem Schlagzeug, dass wenig auf Punktgenauigkeit, aber viel auf Einfallsreichtum gibt, macht das Trio den verschrobensten Sound der Stunde. Seattle liefert halt noch immer.

Naked Giants – Sluff (New West Records)

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