Georg Stefan Troller: Interviews & Altersmilde
Posted: January 18, 2018 | Author: Jan Freitag | Filed under: 4 donnerstagsgespräch |Leave a comment
Nicht schlecht, Alter
Halstuch, Jackett, Ideale, Anekdoten: Eine Begegnung mit dem großen Fernsehreporter und Menschheitsreisenden Georg Stefan Troller (Foto: Christian O. Bruch) ist kein simples Interview einer Ikone des gehobenen Fernsehfeuilletons von 86 Jahren; sie gleicht einer Ausfahrt ins goldene Zeitalter des Journalismus, als das Interesse noch größer war als die Quotengier – und das Selbstbewusstsein offenbar auch.
Interview: Jan Freitag
freitagsmedien: Herr Troller, wenn man Sie über die Jahrzehnte mehr als 1500 Interviews geführt hat – verliert das einzelne dann in der Masse an Bedeutung?
Georg Stefan Troller: Nein, nicht eins. Man kann sich das heute vermutlich kaum noch vorstellen, aber damals, in den Sechziger-, Siebzigerjahren, konnte ich mir meine Gesprächspartner ausschließlich nach meinem Interesse aussuchen, ob sie mir etwas zu geben hatten oder nicht. Aber auch, ob ich ihnen etwas zu geben hatte. Die Auswahl war zutiefst persönlich geprägt.
Die Redaktion hat Ihnen nicht reingeredet?
Nie.
Auch nicht, um ein Mindestmaß an Tagesaktualität einzufordern?
Nein. Und die hat mich auch selten interessiert.
Weil Sie dafür zu feuilletonistisch sind?
Wahrscheinlich. Es ging mir stets um die Person und ihre Geschichte.
Welche davon ist Ihnen aus den Gesprächen der berühmten Personenbeschreibung im ZDF oder dem Pariser Journal beim WDR besonders in Erinnerung geblieben?
Diese Frage erwarte ich jedes Mal mit Schrecken. Die Liste aller Gesprächspartner liegt da drüben [zeigt zum Schreibtisch]. Jeder darauf war für einen Moment mein Freund, Schicksalsgenosse, manchmal auch Beichtkind oder -vater. Davon jetzt einen herauszupicken, würde jedem anderen Unrecht tun. Für mich hat auch Popularität nie eine Rolle gespielt.
Für die Verantwortlichen des Senders vermutlich schon…
Gewiss. Und natürlich waren grad beim Pariser Journal auch Prominente gefragt. Mich haben Bergbauer oder Häftlinge stets genauso interessiert wie Stars. Oft sogar mehr, weil denen die Eitelkeit abging. Ihr Anteil wurde daher mit den Jahren größer und größer.
Weil das Quotenrennen damals noch nicht eröffnet war?
Na ja, wir hatten mit dem Pariser Journal schon mal 50 Prozent – allerdings gab es damals auch zunächst einen, dann zwei Sender (lacht). Davon konnte in 22 Jahren Personenbeschreibung keine Rede mehr sein, weshalb das Format mit der Zeit in den späteren Abend verschoben wurde. Es galt ja auch zusehends als elitär. War mir alles ebenso wurscht wie die Quoten. Der Sender war nur mein Werkzeug; ich wollte mit denjenigen drehen, die mir nahe gingen.
Was auch daran zu spüren war, dass sich Ihr Gegenüber oft buchstäblich bis zu völligen Entblößung geöffnet hat. Ist pures Interesse dafür ausreichend?
Sie sind doch selbst in diesem Beruf und wissen: Nur was man hineingibt, kriegt man am Ende auch heraus. Je man von sich selbst preisgibt, desto mehr erhält man zurück. Bleibt es bei Routinefragen erntet man auch nicht mehr als Routineantworten.
Haben Sie ein Gegenbeispiel?
Ich habe Anfang der Sechziger Sommerset Maugham auf seinem Schloss besucht und wusste nicht, was ich den großen Schriftsteller fragen sollte. Die Redaktion riet mir, welche Küche er als Brite in Frankreich vorziehe oder was seine Lieblingsfarbe sei. Als ich ihm in seiner Laube traf, fast so alt wie ich jetzt, aber von einer Frischzellenkur verjüngt, las er mir in perfektem Deutsch aus einem Büchlein Goethe vor: Alles geben die Götter, die Unendlichen, ihren Lieblingen. Ganz. Alle Freuden, die Unendlichen, alle Schmerzen, die Unendlichen. Ganz. Da fragte ich, ob er ein solcher Liebling sei? Und er sagte: ja, aber der Schmerz hätte die Freuden stets überwogen. Worauf er mir auf meine Verwunderung hin vom Stottern erzählte, das ihm die Jugend zerstört hat. Auf die Art kam ein sehr inniges Gespräch zustande. Nur vom Essen haben wir kaum geredet. Interviews sind überaus impulsiv.
Aber offenbar auch Glückssache…
Unbedingt. Ans Glück muss man allerdings glauben, dann kann es kommen, glaubt man nicht dran, bleibt es fern. Das ist in der Politik kaum anders als im Leben.
Ist dieser Glauben in die Richtigkeit und Relevanz Ihres Tuns Ihr Erfolgsgeheimnis?
Womöglich. Es geht um Anvertrauen, Preisgeben, um Offenbaren. Wahrer Austausch findet nur statt, wenn man sich die Sorgen und Belange anderer wirklich zueigen macht. Natürlich gibt es Menschen, die grundsätzlich verschlossen sind; aber im Großen und Ganzen ist es die Verantwortung des Fragestellers, Türen zu öffnen. Antworten sind in der Regel ja nur Reaktionen, die Initiative haben wir als Filmemacher oder Journalisten. Reines Interesse ist dafür nicht gut genug. Es ist Empathie, dank der jemand Dinge offenbart, die er nicht preisgeben will. Im Verlauf eines guten Interviews vergisst der Interviewte, dass es eines ist. Im Verlauf eines sehr guten, vergisst es auch der Interviewer.
Damit macht man sich dann allerdings gemein mit seinem Gegenüber.
Ja.
Gerät man dabei nicht in Gefahr, die nötige journalistische Distanz zu verlieren?
Und dann?
Folgt womöglich Kontrollverlust zulasten des Erkenntnisgewinns.
Ich suche im Gespräch immer auch ein wenig Seelenfreundschaft, um die Menschen wirklich zu verstehen. Aber glauben Sie mir – der lauernde Blick des Journalisten blieb mir stets erhalten. Hingebung und Professionalität kann durchaus gleichzeitig im Kopf stattfinden. Wichtig ist dabei, keinem von beidem die Hoheit übers andere zu überlassen. Ich hatte stets einen Katalog an Fragen vor mir liegen, manchmal an die 100. Interviews müssen zwar improvisiert klingen, dürfen es aber nie sein. Dennoch gibt das Gespräch die Richtung vor, nicht der Block auf dem Schoß.
Haben Sie sich Ihre eigenen Formate eigentlich selber angeschaut?
Einige, schon weil ich sie in Seminaren gebraucht habe, die ich gehalten habe. Und nicht selten sagte ich mir selbst: Nicht schlecht, Alter.
Aber sagten Sie nicht manchmal auch, Oh Gott, Alter, wo sind all die Fragen geblieben, die ich eigentlich stellen wollte?
Auch das kam vor. Aber meist habe ich dann doch die Fragen von Bedeutung gestellt, selbst wenn sie nicht auf dem Zettel standen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Mehrzahl meiner Interviews Teil einer Dokumentation war, also eines Bildes. Und in dieser Komposition spielt das Wort eine weit geringere Rolle als Fähigkeit des gesamten Teams, Protagonisten dazu zu bringen, sich der Kamera zu stellen. Das Interview brauchte daher weniger Vorbereitung als die Person ins rechte Licht zu rücken, ohne sie zu mit der Situation zu überfordern.
Wobei die Menschen in Ihrer großen Zeit noch weit weniger kameraerfahren waren als heute, wo alles von allen praktisch permanent festgehalten wird.
Meine Tochter arbeitet in Paris bei einer Talkshow. Was die Menschen heutzutage freiwillig und unbezahlt von sich preisgeben, ja mehr noch, wie sich mit sich und ihrer Meinung protzen – das war zu meiner Zeit undenkbar. Während damals die Tradition des Schweigens herrschte, in der mal alles mühsam aus den Leuten heraus kitzeln musste, bildet sich gerade die neue Tradition des Herauslassens um jeden Preis.
Welche Tradition bevorzugen Sie?
Verschweigen ist mir lieber! Wenn deine Arbeit Menschenkenntnis und Fragetechnik erfordert, kann man doch stolzer darauf sein, als wenn alles von alleine kommt. Nichtsdestoweniger glaube ich, dass es auch heutzutage immer noch genug Regionen, Länder, ganze Kontinente gibt, in denen man noch so bohren musste wie zu meiner Zeit.
Sie würden daher in die Ferne schweifen, wären Sie weiterhin aktiv?
Ach, vermutlich würde ich auch hier noch genug Leute finden, die mich interessieren, und mit viel Mühe und Not das aus ihnen herauszuholen versuchen, was sie zu geben haben.
Wir leben nicht nur in Zeiten dauernder Selbstentblößung, sondern einer erwachenden Radikalität, wie sie eigentlich längst überwunden zu sein schien. Erfordert es mehr oder weniger journalistische Nüchternheit im Umgang mit den Extremen?
Darauf hätte ich wirklich gern eine Antwort, aber vielleicht mache ich den Beruf dafür schon zu lange nicht mehr. Wenn man allerdings betrachtet, wie viel Emotionalität mittlerweile die Debatten bestimmt, wird das, was an meiner Arbeit vor 50 Jahren noch als außergewöhnlich galt, zusehends gewöhnlich (lacht).
Macht Ihnen das – zumal als Holocaust-Überlebender mit jüdischen Wurzeln – Angst?
Die politische Entwicklung, meinen Sie? Als die extreme Rechte vor einem halben Jahr in Frankreich bei 40 Prozent lag und die neuen Patrioten auch in der Türkei, Ungarn, den USA zu Mehrheiten kamen, schienen mir die Dreißigerjahre für einen Moment lang sehr nah. Seit Macron gegen Le Pen gewonnen hat, überwiegt aber die Hoffnung auf einen neuen deutsch-französischen Frühling, auf Europa.
Ist das ein Pfeifen im Walde oder echte Überzeugung?
Weder noch, schon weil ich von gar nichts ganz überzeugt bin. Wir leben in Zeiten des Umbruchs. Warum die patriotische Rechte auf einmal so groß wird, hat mich gestern auch Markus Lanz in seiner Talkshow gefragt. Aus meiner Sicht hat das mit dem Verblassen der Religionen zu tun und der Bindungskraft des Glaubens. Der Mensch lebt aber vom Glauben, er sucht danach, findet aber derzeit keine Kraft wie einst die Religion und sitzt dann Ersatzreligionen auf wie dem, der Brexit würde Großbritannien wieder groß machen oder Trump die USA. Das ist zwar alles grotesk, aber Träume dieser Art waren schon immer vorhanden. Nur wenn sie wie derzeit das Denken überlagern, wird wieder alles möglich, was wir längst überwunden geglaubt haben.
An welche Träume glauben Sie?
Als Journalist ist man ja doch von Berufs wegen Skeptiker, was eher zum Zynismus führt als zur Träumerei. Gleichwohl glaube ich, dass alles auf dieser Welt einen Sinn hat, der von einer höheren Kraft verliehen wird. Für diese Energie mag es etwas geben, das man Gott oder sonstwie nennen kann. Aber in welche Richtung sie fließt, dafür sind wir schon selbst verantwortlich, durch Trial and Error.
Und permanenten Dialog, nehme ich an.
Absolut, sofern die Meinungen nicht nur um sich selbst kreisen wie gestern oft bei Markus Lanz. Das müssen wir uns auch als Journalisten stets vor Augen halten.
Die Skepsis gilt also auch Ihnen selbst?
Natürlich. Gestern hat mich eine Dame der Bild am Sonntag interviewt? Wer stand vor 50 Jahren vorm Springer-Haus und brüllte „Springer enteignen“? Wer wollte seine Goldene Kamera zurückgeben?
Sie, nehme ich an. Ist das Altersmilde?
Auch. Im Alter akzeptiert man ja Dinge, die während der Jugend unerträglich sind. Aber Aussöhnung mit dem eigenen Leben bedingt auch Aussöhnung mit der Umwelt. Man lernt sich halt besser zu akzeptieren, im Guten wie im Bösen. Andererseits: Während ich mir nicht mehr wie als junger Mann dauernd den Vorwurf mache, falsch zu leben, mache ich ihn der Welt im Ganzen nach wie vor. Ich rege mich noch immer auf über die Blödheit der Welt, und das werde ich umso weniger akzeptieren wie sie gerade wieder ein bisschen blöder wird.
Juckt es Sie da manchmal in den Fingern, dieser bewegten Zeit auch journalistisch nochmals den Stempel aufzudrücken?
Nein, denn in meinem Alter liefe das darauf hinaus, dass man Briefe an den Herausgeber schreibt, die nie erscheinen. Hab ich zum Glück nur zwei, dreimal gemacht.
Hört man überhaupt je auf, Journalist zu sein, nur weil man damit sein Geld nicht mehr verdient?
Ich nenne mich ja eher Filmemacher, aber auch das bleibt stets lebendig. Der Redebedarf endet nie. Als ich kürzlich las, dass sich eine Gruppe israelischer Ärzte in den Gazastreifen geschlichen hat, um dort Palästinenser zu behandeln, wollte ich instinktiv sofort dorthin. Aber ich kann nicht mehr solange stehen, geschweige denn gehen. Außerdem bin ich viel zu ungeduldig, um das dauernde Warten dieses Berufes zu ertragen. Aber junge Kollegen sind vermutlich noch ungeduldiger und die Teams, die ich mir herangezogen habe und sie mich, gibt es auch nicht mehr. Die Zeit ist vorbei.
Ist Ihr Buch Ein Traum von Paris so gesehen ein journalistisches Vermächtnis?
Ach wissen Sie, ich schreibe seit zehn Jahren mein letztes Buch und dachte immer, das würde es sein. Dann aber hat meine Tochter in der Wohnung meiner geschiedenen Frau Fotos gefunden, die ich in den Sechzigerjahren an meinem Wohnort Paris gemacht habe. Das habe ich dann mit einer Sammlung alter Texte von mir verbunden [Holt ein Exemplar aus seiner Aktentasche und streichelt es liebevoll]. Vielleicht werde ich 100 und es kommt noch was, aber für den Moment, ja, ist das mein journalistisches Vermächtnis.