2 Bier – 1 Platte

Marthe-OjiOnejiru & Turtle Bay Country Club

Sisters, Sam Ragga Band, Helge Schneider, Jan Delay: Die Liste von Onejirus musikalischen Projekten und Kollaborationen ist nicht nur lang, sondern auch hochkarätig. Jetzt veröffentlicht sie als Produzentin, Texterin und Sängerin gemeinsam mit Hamburgs Erfolgsproduzenten Matthias Arfmann eine neue Platte. Auf Ballet Jeunesse haben sie die bekanntesten europäischen Balletklassiker neu aufgenommen und mit Hilfe internationaler Musikerinnen und Musiker neu interpretiert. Zum Bierplattengespräch gab’s dieses Mal zwar ganz sportlich nur Wasser, die Einblicke in die Geschichte der besonderen Onejiru sind dafür aber umso tiefgehender.

Von Marthe Ruddat

freitagsmedien: Onejiru, welche Musik inspiriert Dich?

Onejiru: Natürlich haben mich Bob Marley und Prince inspiriert, Michael Jackson und auch ein paar afrikanische Künstler, Brenda Fassie aus Südafrika zum Beispiel. Ich bin was das angeht tatsächlich eher breit aufgestellt. Aber ich habe mir gedacht, dass ich für zwei Bier – eine Platte über eine Platte sprechen möchte, an der ich selbst mitgewirkt habe. Und das ist diese hier: Universal Monstershark von Turtle Bay Country Club.

Mit Universal Monstershark veröffentlichte Matthias Arfmann 2003 das dritte Album des Turtle Bay Country Club und griff dabei auf poppige Funksounds zurück. Unterstützt wurde er nicht nur von Onejiru, sondern auch anderen langjährigen Wegbegleitern: Jan Delay, Schorsch Kamerun, Patrice Katrin Achinger und einigen anderen.

Das ist nicht deine einzige Platte. Warum hast du gerade die ausgewählt?

Neben den unzähligen Kooperationen veröffentlichte Onejiru 2006 ihr Debütalbum Prophets of Profit. Ein weiteres Soloalbum ist in Planung.

Ich habe sie ausgesucht, weil sie, wie unsere neue Platte Ballet Jeunesse, eine ganze Weile gebraucht hat, bis sie fertig war. Das scheint das Markenzeichen von Matthias Arfmann zu sein, der ja der Gründer des Turtle Bay Country Club ist. Und außerdem steckt eine spannende Geschichte hinter der Platte.

Erzähl!

Die Platte ist entstanden, als die Plattenindustrie allmählich bröckelte und der Musikmarkt ein bisschen in sich zusammen brach. Die Illustration der Platte ist Marthe-Monsterdiesbezüglich irgendwie vorausschauend. Auf dem Cover sitzt Matthias Arfmann mit seinem Sohn auf einem Steg, am Horizont geht die Sonne unter. Die Angel ist ausgeworfen, weil sie gerne ein Label für die Platte angeln würden. Wenn man die CD dann aufklappt sieht man den Grund mit lauter geöffneten Dosen. Auf denen sind die Plattenfirmen drauf: SONY, BMG, Universal, EMI, Warner. Von denen gibt es heute schon einige gar nicht mehr. Wenn man die CD dann heraus nimmt, sieht man Arfmann und seinen Sohn aus der Perspektive der Dosen. Auf der Rückseite der CD wird dann deutlich, dass die beiden nichts geangelt haben, außer einem kleinen, übrig gebliebenen Fisch. Auch bei Ballet Jeunesse haben wir wieder ganz besondere Illustrationen gewählt. Ich glaube einfach, dass man neben und mit Musik sehr gut Geschichten erzählen kann. Musik ist ja quasi Geschichten erzählen.

Dein Stil wird deshalb auch oft Edutainment genannt. Ist das der Anspruch, den du grundsätzlich an Musik stellst?

Ich bin in Kenia geboren und aufgewachsen, einer Kultur, die sehr stark oral geprägt ist. Viele Jahrhunderte hat dort vieles über Sprache und Gesang funktioniert. Ich wurde ganz einfach so sozialisiert, dass Musik ein Messenger ist, ein Mittel zur Kommunikation. Text und Klang sind unglaublich wertvoll. Ich meine, was ist denn leichter, als eine gute Idee oder eine Nachricht über Musik zu transportieren? In meiner Muttersprache Kikuyu zum Beispiel kann ein Text sehr hart sein, die Musik ist aber gleichzeitig sehr tanzbar. Die Leute tanzen und werden gleichzeitig belehrt. Diesem Prinzip folge ich. Ich versuche gesellschaftskritisch und kulturkritisch zu sein. Das mache ich durch meine Texte, ich benutze aber auch viele Metaphern und Bilder. So illustriere ich, was ich gerne sagen möchte.

Du wirst auch oft als Aktivistin bezeichnet und nimmst eine Vorbildfunktion ein.  Wie ist es dazu gekommen? 

Ich habe das Gefühl, dass meine Großmutter meine größte Inspiration war. Wir hatten damals weder iPhone, noch Fernseher. Meine Großmutter hat uns viele Geschichten erzählt und uns vorgesungen. Mit den Texten hat sie uns auch immer viel Erfahrung aus ihrem Leben mitgegeben. Auch deshalb hat sie eine sehr große Rolle in meinem Leben gespielt. Überhaupt spielen Frauen in meinem Kontext eine sehr große Rolle. Sie sind die Macherinnen, die Starken. Das hat mich inspiriert. Ich habe auch meinen Vornamen von meiner Großmutter, so bin ich auch ein Stück sie. Wenn mich die Menschen am Ende dafür als Aktivistin oder auch Entwicklungsexpertin bezeichnen dann kann ich das nicht beeinflussen. Diese Titel haben ja aber nichts schlechtes, wenn man mich so sieht finde ich das schön.

Kommen wir noch mal zurück zur Universal Monstershark. Sie beinhaltet viele Features. Ist die Musik so abwechslungsreich wie die Künstler darauf?

Die Platte ist ein Konzeptalbum. Matthias Arfmann war damals mit einer anderen Band auf Hawaii und kam dort in der Nähe des Turtle Bay Country Club unter. Von dort hat er den Namen mitgebracht. Zurück in Hamburg hat er dann verschiedene Musiker, die er mag, angerufen und von seiner Idee, diese Platte zu machen, erzählt. Und es gab einige tolle Musiker, die dann schließlich nach Hamburg gekommen sind: Mahmoud Gania war beispielsweise ein marokkanischer Gnawa-Musiker, von dem auch Tony Cook, der Drummer von James Brown, völlig hin und weg war. Ich war damals ein Teil des Kollektivs. Wir haben dann zunächst ganz klassisch gejammed und auch erstmals mit Samples gearbeitet. Deshalb sehe ich die Universal Monstershark auch als Vorhut von BalletJeunesse, bei der wir das ganze noch perfektioniert haben.

Marthe1Also symbolisiert die Platte auch deine musikalischen Anfänge?

Ganz genau, zu dieser Zeit habe ich angefangen. Ich habe gelernt, wie man sich als Sängerin auf der Bühne benimmt. Tony Cook meinte irgendwann zu mir: „Wenn Du mich nicht ansiehst, weiß ich nicht, was Du von mir willst.“ Auch deshalb ist die Platte für mich so wahnsinnig wichtig. In dieser Zeit sind einfach sehr viele Dinge passiert, von denen ich noch heute zehre.

„White vests & blackaccounts“, klingt als hättest du damals schon gern kritische Texte geschrieben.

Ja, auf jeden Fall. Ich habe mir vorgestellt, wie die Politiker mit ihren weißen Westen durch die Gegend laufen, aber schwarze Konten hinter sich herziehen und so die Gesellschaft verarschen. Das war meine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich spiele gerne mit Wörtern. Bei dem Song Truly habe ich das auch gemacht. Da singe ich einfach mal darüber, dass ich königlich bin. Ich bin eine Königin und habe es auch verdient eine Königin zu sein. Eigentlich heißt es ja immer kingsize, aber damals habe ich mir schon das Wort queensize zu eigen gemacht.

Ist Truly Dein Lieblinssong auf der Platte?

Also eigentlich sind alle meine Lieblingssongs. Aber wenn ich mich festlegen soll, dann ist es Debbi. Ich habe den Text zu dem Song mitgeschrieben. Es ist ein strophiges Lied mit Disco- und Popmelodien. Das finde ich richtig cool.

Universal Monstershark und BalletJeunesseverbindet, dass ihr auf beiden Alben mit vielen und zum Teil sehr bekannten Musikerinnen und Musikern zusammen gearbeitet habt. Gibt es da eigentlich noch eine Steigerung, jemanden, mit dem Du unbedingt Musik machen möchtest?

Auch auf Ballet Jeunesse sind Jan Delay und Schorsch Kamerun wieder mit dabei. Mit dem Bloc Party-Sänger Kele Orece und Hip Hop-Superstar KRS One konnten Arfmann und sein Produzententeam dieses Mal auch internationale Größen für die Platte gewinnen. 

Ich glaube nicht wirklich. Der Song mit Kele Okereke war und ist ein wahr gewordener Traum von mir. Als die Zusage kam, habe ich vor Freude kurz keine Luft mehr bekommen. Ich konnte es bis zum Schluss nicht glauben und manchmal kann ich es auch heute noch nicht fassen. Und dann auch noch KRS One, das ist schon alles sehr large.

Alle Informationen über Onejiru findet Ihr auf facebook oder auf der Website der Sisters. Am 09.09.16 erscheint Ballet Jeunesse bei Decca. Die bisher einzige geplante Live-Aufführung findet am 21.09.16 im Rahmen des Reeperbahn Festivals gemeinsam mit den Hamburger Symphonikern statt.


2 Bier – 1 Platte

IMG_4856Swearing At Motorists & CAN

An einem lauschigen Sonntagabend im Juli finden sich nicht viele Menschen in kleinen, verrauchten Kneipen ein. Im Otzentreff auf St. Pauli war das letzte Woche anders. Zum Todestag von JJ Cale und dem nahenden Todestag von Michael Karolis fand – wie passend – die JJ Cale & CAN memorial night statt. An den Turntables stand Martin Boeters, Drummer der worlds local band Swearing At Motorists und der Gruppe SPORT. Als der Abend noch jung und das Bier noch kalt war, lies er eine Platte einfach mal laufen und erzählte mir von seiner Leidenschaft für CAN.

Interview: Marthe Ruddat

Martin Boeters: Wir müssen die Platten hier eigentlich mal eben durchgehen, damit du verstehst, wie ich eigentlich auf CAN gekommen bin.

In chronologischer Reihenfolge hält Martin all seine Platten von CAN auf dem Schoss.

Die erste Platte war die Monster Movie, 1969 kam die raus. Damals haben sie sich noch The Can genannt. Da ist so ein Wahnsinns-Stück drauf: Yoo Doo Right. Das ist eine ganze Plattenseite lang, zwanzig Minuten ziemlich genau. Dieses Lied habe ich mit 16 auf irgendeiner Draußen-Drogen-Party gehört und bin total durchgedreht, weil ich es so super fand. Über dieses Stück bin ich auf CAN gekommen.

CAN fanden sich in ihrer Ursprungsbesetzung 1968 in Köln zusammen und definierten mit ihrem ersten Album Monster Movie ihren avantgardistischen Stil. Die Band veröffentlichte unzählige Platten. Überreicht wurde der Preis von den Red Hot Chili Peppers, die gleichzeitig ihre große Anerkennung aussprachen.

Der Anfang einer großen Liebe?

Ja. Ich bin dann direkt auf den nächsten Flohmarkt bei uns im Dorf gegangen. Da habe ich aber erst mal die Future Days und die Radioaktivität von Kraftwerk gefunden. Diese Platten haben meinen Musikgeschmack und mein Hörempfinden sehr geprägt. Ich habe mich dann total auf CAN gestürzt und wollte unbedingt die Monster Movie haben. Bei meinem nächsten Besuch in Hamburg war ich bei Michelle Records, da habe ich die Soundtracks aus dem Regal gefischt. Und die besagte Platte, die ich Dir heute mitgebracht habe: die Delay 1968.Das sind Aufnahmen von 1968 und 1969, also eigentlich noch vor der ersten Platte. Sie kam aber erst 1981 raus. 

Holger Czukay von CAN sagte mal, dass Delay 1968 eigentlich das erste Album der Band sein sollte. Da sich aber keine Plattenfirma fand, entstand alternativ zunächst Monster Movie.

Also schließt sich damit auch der Kreis zur Monster Movie. Was ist das besondere an diesen beiden Platten?Download

Ja stimmt, zeitlich sind die Platten eigentlich sehr nah beieinander. Und es sind die einzigen Platten, bei denen Malcolm Mooney als Sänger dabei ist. Seine Geschichte ist eigentlich etwas traurig. Er ist während seiner Zeit bei CAN ziemlich verrückt geworden und musste dann wieder zurück in die USA. Jetzt ist er aber wohl ein ziemlich geiler frei schaffender Künstler und macht irgendwelche Installationen. Auf der Internetseite von CAN findet man darüber auch sehr viel.

Delay 1968 ist, wenn man die Entstehung betrachtet, eigentlich ja die erste Platte von CAN. Warum ist die Lieblingsplatte so vieler Menschen oft das Debüt einer Band?

Vielleicht, weil die Bands da noch am coolsten klingen. Die Platten sind noch unüberlegt eingespielt worden. Sobald man ein genaues Konzept gefunden hat, klingen die Platten vielleicht konstruierter. CAN haben bei diesen beiden „ersten“ Platten einfach drauf los gespielt. Und der herausragende Malcolm Mooney war eben noch dabei.

Den heutigen Abend widmest Du, neben JJ Cale, dem verstorbenen Gitarristen Karoli. Inwiefern hat er dich beeinflusst?

Ich habe neulich festgestellt, dass er nun schon fast 15 Jahre tot ist und finde das einfach immer noch krass. Besonders beeinflusst hat mich aber natürlich eher Jaki Liebezeit, der Schlagzeuger. Der ist eine richtige Groove-Maschine und hat auch in diversen NDW-Produktionen mitgemacht.

War er auch ein Vorbild für deine eigenen musikalischen Anfänge?

Naja, also ich habe mit 11 oder 12 mein erstes Schlagzeug bekommen und Unterricht genommen. Mit 14 habe ich dann aber wieder aufgehört und mein Schlagzeug versetzt. Ich habe mir dafür eine Hifi-Anlage und meine ersten Platten gekauft, ich wollte einfach lieber Musik hören. Als ich dann später wieder angefangen habe war Jaki schon ein riesen Vorbild und das ist er immer noch. Er spielt so stoisch und versucht nicht zu viel zu machen. Ich sag mal so: Er macht die Musik nicht durch übertriebenen Ehrgeiz kaputt. Es gibt nur Schläge, wenn sie Sinn machen. Seit ich mit der Gruppe SPORT Musik mache spiele ich auch in dieser Art. Bei Swearing At Motorists ist das aber wiederum ganz anders. Da gibt es viel stop and go, viel Rumschlenkern. Einfach eine ganz andere Art von Musik. Und beides hat seine Herausforderungen.

Marthe1Diese Band mit R (Radiohead) hat Thief mal gecovert. Hättest Du auch Lust, mal was von CAN zu covern?

Diese Band mit R, die kann ich fast gar nicht ausstehen. Dürfen die das? Ja, sollen sie es doch versuchen. Sie kommen sowieso nicht dran. Wir haben mit Sport zwar schon einiges gecovert, aber ich glaube an CAN würde ich mich nicht trauen. Was Mooney und später Suzuki da singen ist einfach so speziell, das kann man nicht noch mal so cool machen. Ich würde auch niemals die Beatles covern, das hat für mich in etwa den selben Stellenwert.

Zeit für ein neues Bier. Martin trinkt Flensburger, ich Dithmarscher.

Hast Du ein Lieblingslied auf Delay 1968?

Puh, das ist wirklich schwer zu sagen, eigentlich ist es wirklich die ganze Platte. Mein Lieblingslied wäre am ehesten aber noch der letzte Song, Little Star of Bethlehem. Das hat aber nichts mit Jesus zu tun! Für mich ist das eine Hommage an die Blume. Das ist nämlich eine ganz wichtige Bachblüte, die ist auch in diesen Rescue-Tropfen drin. So sehe ich das jedenfalls.

Can – Little Star ofBethelehem

Silent invisible conversation

Correction: the coat hanger should be upside-down

Oh littlestar

Froggy and Toady carried off the tangerine seeds one by one

And came back for the popcorn after dinner

Froggy said, “I saw you soaking in a tub of waterlilies behind the (sea?)

Sometimes I ask around (moon over the bay?)”

Froggy and Toady carried off tangerine seeds one by one

And came back (for the/full of) popcorn after dinner

Asking “Will you have some?”

Correction: the coat hanger should be upside-down

Oh little star of Bethlehem

Silent invisible conversation

I’ll meet you at the railroad station

Du hast vorhin von Michelle Records gesprochen. Kaufst du da immer noch deine Platten?

Ja, das ist auf jeden Fall noch immer mein Lieblingsplattenladen. Für die bin ich schon als 16-Jähriger vom Dorf nach Hamburg gefahren. Ansonsten gehe ich auch immer noch gerne auf Flohmärkte. Und neulich war ich das erste Mal bei Back Records in der Wohlwillstrasse. Die Auswahl ist zwar nicht groß, aber sehr gut. Ich habe da gleich mal ne alte Pixies-Platte abgestaubt. Für mich ist der Laden ein heißer Tipp!

Eine letzte Frage: Wo werden Bands mit The im Plattenregal einsortiert? 

Naja, auf jeden Fall nicht unter T. Nur The The würde ich da einsortieren, aber von denen habe ich glaub ich gar nichts. JJ Cale sortiere ich ja auch nicht bei J, sondern bei C ein.

Wer jetzt mehr über diesen Musik-Leidenschaftler Boeters und seine Bands wissen möchte, der kann sich auf Swearing at Motorists über die nächsten Gigs informieren und die Gruppe SPORT anhören.


2 Bier – 1 Platte

IMG_4755Fuck Art, Let’s Dance & Red Hot Chili Peppers + Sigur Rós

Noch schwelgen viele in Erinnerungen ans bunt-glitzernde Fusion-Festival, das gestern zu Ende ging. Auch Fuck Art, Let’s Dance waren dort und haben mit ihrem Indiesynthiepop die Menge tanzen lassen. Für ihre experimentierfreudigen Auftritte sind die vier Hamburger mittlerweile über alle Genregrenzen hinweg bekannt. Beim Sonntagsbier am Dienstag im Café May sprechen Nico und Romeo heute über ihre musikalische Inspiration und Vorbilder in Sachen Performance.

Von Marthe Ruddat 

freitagsmedien: In vergangenen Interviews fiel das Gespräch immer wieder auf eine gewisse Rockband, wenn es um Eure musikalische Entwicklung ging. Sprechen wir heute auch über diese Band?

Romeo: Also bei mir geht es da immer um die Red Hot Chili Peppers, falls du die erwartet hast.

Bingo! Welches Album ist dein liebstes?

Romeo: Definitiv die Blood Sugar Sex Magik. Es gibt auch noch viele andere richtig geile Platten von denen, aber die hat mich so richtig geprägt. Und ich glaube auch bei Tim und Damian ist das so. Nico ist da ganz anders.

Nico: Ganz anders!

Blood Sugar Sex Magik, ja, mit K! Das fünfte Studioalbum der Red Hot Chili Peppers ist bis heute ihr kommerziell erfolgreichstes Album. Mit Give it Away und Under The Bridge enthält es zwei immer noch oft gespielte Funkrock-Klassiker.

Ihr seid zusammen zur Schule gegangen und ward eine Gang, aber habt ganz unterschiedliche Musik gehört?

Nico: Nee, wir waren nur zusammen in der Grundschule. Die Jugend habe ich gar nicht mit den anderen verbracht, das zählt also gar nicht so richtig.

Romeo: Genau. Die anderen und ich haben so mit 14 oder 15 angefangen die Peppers zu hören. Mich hat das sofort total geflasht. Die Blood Sugar Sex Magik Marthe-RHCPwar für mich eine ganz neue Musikrichtung. Und dann auch noch diese Live-Auftritte und das Improvisieren auf der Bühne, das war einfach der Shit.

Nico ging also auf eine andere Schule und hörte auch andere Musik?

Nico: Ja schon. Mein Bruder ist bei seinem Vater aufgewachsen und war in dieser Happy-Hardcore-Szene, Terrorcore und so einen Shit hat der gehört. Und sowas hab ich mir mit acht Jahren dann auch reingezogen. Das habe ich zwar lange gehört, aber eigentlich zählt das auch nicht so richtig. Was mich aber so richtig geprägt hat, ist Coldplay.

Oh no…

Nico: Jaja, du lachst! Jeder hasst Coldplay, du hasst Coldplay! Aber ganz ehrlich, als ich mit 14 die erste Coldplay-Platte gehört hab, war das wirklich der Hammer! Die hat mich dazu gebracht, dass ich selber irgendwie Musik machen wollte. Mittlerweile sind die natürlich ziemlich scheiße. Die haben ihre Seele verkauft. Spätestens als die angefangen haben irgendwas mit Justin Bieber zu machen. Die beste Anekdote ist eigentlich noch, dass Chris Martin mal selber die Story erzählt hat, dass David Bowie nicht mit ihm zusammen arbeiten wollte. Kann man irgendwie verstehen…

Coldplay wollten David Bowie tatsächlich mal für ein Feature gewinnen. Wortwörtlich soll er geantwortet haben: „It’s not a very good song, is it?“ Wirklich böse waren Coldplay ihrem Idol aber wohl nicht.

Wählst du als Platte jetzt also das Debut von Coldplay?

Nico: Nee. Also ich bin schon immer sehr exzentrisch gewesen, was Musik angeht. Ich habe schon immer krasses Zeug gehört: japanischen Noise, Avantgarde und alternative Dancemusik. Field recordings sind auch super. Ein Track ist sieben Minuten lang und mit Vogelgezwitscher oder irgendwie so was untermalt. Aber meine Lieblingsplatte, die ich auch rauf und runter höre, die ist von Sigur Rós.

Sigur Rós. Die isländische Band um Sänger und Gitarrist Jón Thór Birgisson ist unmöglich in eine bestimmte Schublade zu stecken. Trotzdem schafften sie es mit Fantasiesprache und fantasievollen Arrangements weltweite Aufmerksamkeit zu erzeugen. David Bowie outete sich als Besucher ihrer Konzerte als Fan.

Marthe-RosNicht wirklich populäre Musik. Du bewegst dich also weiter lieber in ungewöhnlichen Gefilden?

Nico: Ja, wie gesagt, ich habe früher immer diese Sachen gehört und irgendwann bin ich auf die () von Sigur Rós gestoßen .

Das hat also auch was mit deiner Computer-Affinität zu tun. Wie muss ich mir das vorstellen?

Nico: Ich hab da so meine Standardseiten. Die klappere ich immer mal wieder ab und manchmal findet man da wirkliche Schmuckstücke. Zum Beispiel ein paar richtig geile Indierock-LPs von irgendwelchen Japanern. Die würdest du sonst niemals hören und die Band kommt wahrscheinlich auch niemals hier her. Aber so entdeckt man viel und ich habe SigurRós gefunden. Trotzdem ist mein Musikgeschmack sehr breit gefächert. Nur Schlager mag ich nicht.

Manch anderer hat SigurRós vielleicht bei Game of Thrones entdeckt. In der vierten Staffel hatten sie einen Gastauftritt als Musikanten auf der königlichen Hochzeit und spielten eine Version ihres Songs The Rains of Castamere.

Romeo, erinnerst Du dich, wer die Peppers angeschleppt hat?

Nico: Stimmt, wer war bei euch eigentlich so der Erste? Das würde mich auch mal interessieren.

Romeo: Ich glaube, ich habe mit meinem Bruder immer zusammen Musik gehört und irgendwann kam Damian mit der Blood Sugar Sex Magik an. Wir fanden die alle ziemlich geil. Dann haben wir angefangen selber Musik zu machen, indem wir die Platte gecovert haben. Das waren dann so unsere Anfänge als Schülerband.

Das klingt, als hätte die Begeisterung mit dem Erwachsenwerden etwas abgenommen?

Romeo: Ja, die Peppers haben schon etwas an Charme verloren. Was uns immer beeindruckt hat und was uns als Band auch total wichtig ist,ist das, was live passiert. Sich ausprobieren und improvisieren. Und das haben die Peppers ein bisschen verloren.

Hörst Du die Platte denn noch?

Romeo: Ja schon. Aber ich höre heute ganz anders Musik und bastele mir immer neue Playlists. Bei den aktuellen ist sie dann eher nicht dabei. Wenn, dann höre ich sie eher komplett durch. Seitdem wir selber Musik machen ist das aber auch irgendwie anders. Es gibt einfach immer noch viele kleine Dinge zu entdecken, neue Gitarren oder Parts.

Trotzdem kennt die Platte eigentlich jeder. Bei Sigur Rós ist das anders. Nico, wie würdest du die Platte jemandem beschreiben, der sie nicht kennt?

Nico: Hmm, also sie ist sehr ruhig, sehr nachdenklich. Irgendwie ist sie gemütlich. Aber nicht so gemütlich, dass man einpennen will. Da sind so viele Kleinigkeiten drin, die man erst hört, wenn man sie zum zehnten Mal hört.

Um mal auf andere Art und Weise auf dem Kunstding eures Namens rumzureiten: Mit welchen Farben würdest Du die Platte beschreiben?

Nico: Oh, sehr düster! Noch dunkler als grau, grau-schwarz vielleicht. Oder ein düsteres Marineblau. Als wenn du 1000 Meilen unter dem Meer bist und eigentlich gar nichts mehr siehst. Schon echt böse und deprimierend.

Wann kam der Moment, als ihr euch von Vorbildern gelöst habt und den FALD-Stil entwickelt habt?Marthe1

Romeo:Für mich war das dieses New-Wave-Ding. Zu der Zeit hat sich unsere Schülerband aufgelöst und ich habe angefangen mit Nico Musik zu machen. Das war 2005 oder 2006. Ich wollte unbedingt dieses neue Zeug ausprobieren und wusste, dass Nico so etwas macht. Der Rest war irgendwie Schicksal.

Nico: Es gab bei uns wirklich mal einen entscheidenden Punkt. Wir saßen zusammen und haben irgendeinen Digitalism-Kram gemacht. Nach drei Wochen haben wir dann gemerkt, dass das nicht unser Ding ist. Wir sind einfach eine Band! Und dann haben wir Tim ins Boot geholt, später dann Damian und nun sind wir eine richtige Band. Auch wenn bei uns immer viel Elektronik dabei ist, ist uns eine Sache besonders wichtig: viel Rock’n’Roll.

Den Rock’n’Roll von Fuck Art, Let’s Dance kann man in diesem Jahr noch auf zahlreichen Festivals live erleben. Alle Termine und weitere Infos gibt’s auf faldmusic.com.


2 Bier – 1 Platte

Marthe-SwissSWISS & Rio Reiser

Es scheint, als hätten SWISS & Die Andern bei der Titelvergabe ihres neuen Albums Missglückte Welt, die Ereignisse rund um den Hafengeburtstag im Mai in möglichst passenden Worten zusammenfassen wollen. Da versucht eine so genannte Alternative für Deutschland zuerst den Punkrock einfach mal gänzlich zu verbieten und bringt SWISS und seiner Band dann auch noch um jede Menge Lob und Anerkennung, indem deren kritische Äußerungen den anderen Hamburger Punkern zugeordnet werden. Frech. Im zugegebenermaßen vor der Hafensause geführten Bierplattengespräch bekommt Frontmann SWISS deshalb nun Gelegenheit sich politisch zu positionieren und dabei noch über seine große musikalische Liebe zu sprechen.

Von Marthe Ruddat

Der Otzentreff in St. Pauli an einem lauen Dienstagabend Anfang Mai. SWISS hat gleich noch Probe und trinkt Kaffee, für Marthe gibt es Dithmarscher

freitagsmedien: Nachdem ich so einiges über dich gelesen habe, bin ich ja sicher, dass du heute Ton Steine Scherben oder die Dreigroschenoper mitgebracht hast.

SWISS: Haha, da liegst du ziemlich richtig! Es gibt so viele Songs von Rio, die mich sehr mitgenommen haben. Kennst du Rios Am Piano?

Nee, kenn’ ich nicht.

Ich glaube das ist auch eher ein Sampler oder so. Auf der Platte hat er Ich sitz an Land am Klavier gespielt. Einfach Wahnsinn! Aber ich soll mich hier ja für eine ganze Platte entscheiden und da müssen es dann die Scherben mit Wenn die Nacht am tiefsten… sein. Magst du das?

Ja, ein sehr emotionales Album!

Wenn die Nacht am tiefsten… erscheint 1975 und ist das dritte Album von Ton Steine Scherben. Im Unterschied zu seinen Vorgängern widmet sich das Album eher persönlichen Gefühlen als revolutionären Zielen.

Ja, find’ ich auch! Bei diesem Album bin ich wie der Pawlow’sche Hund: Du musst die Songs nur anmachen und ich hab sofort Pipi in den Augen, besonders bei Marthe-RioLand in Sicht. Das sind auch so die Songs, die ich Zuhause das erste Mal wahrgenommen habe.

Also haben deine Eltern viel Ton Steine Scherben gehört?

Genau. Im Nachhinein haben die wirklich einen überragenden Musikgeschmack. Das habe ich damals gar nicht so realisiert.

Wo siehst du die Verbindung zwischen den Scherben und der Musik von SWISS & Die Andern?

Musikalisch sind wir natürlich sehr unterschiedlich. Aber ich glaube es gibt schon Parallelen. Die erste Scheibe der Scherben war ja tierisch politisch und darauf wurden sie dann einfach festgenagelt. Als linke Band konnten sie zum Beispiel nie große Gelder für Konzerttickets verlangen, das war eher so eine Art Solispende.

Den musikalischen Wandel auf Wenn die Nacht am tiefsten… begründen die Scherben damals damit, dass sie nicht als Hausband der linken Szene betrachtet und auf politische Texte reduziert werden wollen.

Ich merke, dass wir diesen Weg auch gehen. Unsere Fans sind sehr links und das ist ziemlich cool. Andererseits kann das nerven, wenn es extrem wird und diskutiert werden muss, wer welche Musik hören darf. Ich habe überhaupt keinen Bock mich von solchen Sachen vereinnahmen oder instrumentalisieren zu lassen. Ich bin schon immer ein links denkender Mensch und brauche keinen Credibility-Stempel von irgendwem.

Die Fans, die sich in euren Sippschaften zusammentun, brauchen diesen Stempel aber scheinbar schon.

Naja, ich weiß schon, was du meinst, aber eigentlich geht es dabei um was anderes. Als dieses ganze Missglückte Welt-Ding angefangen hat, haben sich davon total viele Leute angesprochen gefühlt. Viele identifizieren sich mit unseren Texten und den Themen und Problemen, die wir ansprechen. Die Zickzackkinder sind unser engster Kreis. Sie sind in ihren Sippschaften organisiert. Das heißt aber auch, dass sie sich gegenseitig unterstützen. Wenn die Berliner Sippschaft zum Beispiel nach Hamburg kommt, dann müssen die Hamburger denen was zum pennen organisieren und so.

Das Wort Zickzackkinder ist angelehnt an den gleichnamige Roman David Grossmanns. Das Buch erzählt die Geschichte eines 13-jährigen Jungen, der auf einer Reise immer mehr über die Vergangenheit seiner Eltern erfährt. Es geht dabei insbesondere um Beziehungen und das Erwachsenwerden.

Marthe1Das klingt ja mehr nach Politik als nach Musik.

Ja, das ist schon krass. Mittlerweile sind glaube ich über 300 Leute in Sippschaften organisiert. Das ganze ist aber sehr demokratisch und hat auch immer was mit der Band zu tun. Ich habe schon immer sehr provozierende Musik gemacht und war nie ein Künstler der Industrie. Die großen Firmen haben immer gesagt, dass sie mich nicht verkaufen können, weil ich aus dem Raster falle. Wir haben aber gemerkt, dass es davon noch mehr Menschen gibt und die unser Ding feiern. Deshalb haben wir uns die nötigen Strukturen einfach selbst gebaut. Bei dem neuen Album haben die Sippschaften zum Beispiel in jeder Stadt Plakate geklebt und gestickert. Andererseits dürfen die Leute aus einer Sippschaft bei Konzerten auch schon zum Soundcheck rein, kriegen Freibier und dürfen mit uns rumhängen. Das mag ich halt. Man muss nur ein bisschen aufpassen, dass das Ganze nicht zu dogmatisch wird. Bei Neuaufnahmen gab es auch schon mal so stasimäßige Aktionen, wie: „Der hat 2013 das und das Video gepostet, können wir solche Leute dulden?“ So was nenne ich dann gerne mal Punkfaschismus und davon will ich mich lösen.

Ich frage mich gerade, warum du dich heute nicht für Keine Macht für Niemand entschieden hast…

Das ist einfach so, weil mir die Songs auf Wenn die Nacht am tiefsten… so viel bedeuten. Ich weiß jetzt nicht genau, welche Songs auf Keine Macht für Niemand sind, aber so Titel wie König von Deutschland lösen in mir halt nichts aus. Bei Land in Sicht höre ich Rios poetische Schreibe. Rio ist so ein Poet gewesen! Sag mir wer, wenn nicht er! Und besonders seine Sehnsuchtsmusik hat es mir halt angetan und diese Songs haben mich auch beim Schreiben am meisten beeinflusst. Ich glaube auch wir werden auf dem nächsten Album ein bisschen sehnsuchtsmäßiger. Gar nicht, um die Scherben nachzumachen. Aber ich glaube hier gibt es auch in Zukunft Parallelen.

 

Ton Steine Scherben – Land in Sicht

Land in Sicht, singt der Wind in mein Herz.

Die lange Reise ist vorbei.

Morgenlicht weckt meine Seele auf.

Ich lebe wieder und bin frei.

— 

Und die Tränen von gestern wird die Sonne trocknen,

die Spuren der Verzweiflung wird der Wind verweh’n.

Die durstigen Lippen wird der Regen trösten

und die längst verlor’n Geglaubten

werden von den Toten aufersteh’n.

Ich seh die Wälder meiner Sehnsucht,

den weiten sonnengelben Strand.

Der Himmel leuchtet wie Unendlichkeit,

die bösen Träume sind verbannt.

Und die Tränen von gestern wird die Sonne trocknen,

die Spuren der Verzweiflung wird der Wind verweh’n.

Die durstigen Lippen wird der Regen trösten

und die längst verlor’n Geglaubten

werden von den Toten aufersteh’n.

 

In welchen Momenten hörst du Wenn die Nacht am tiefsten…?

Ich höre die Scherben eigentlich meistens, wenn ich nicht so gut drauf bin.

Damit es dir besser geht oder um dich ein bisschen im Unglück zu suhlen?

Ich weiß was du meinst. Aber eigentlich beides nicht. Es ist eher das Gefühl, zu einem alten Kumpel zu gehen, der mich versteht. Ein alter Kumpel, der um meine Schwächen weiß und dem ich deshalb auch nichts vormachen muss.

Ist es eines deiner persönlichen Ziele, dass deine Musik auch so lange erfolgreich und bedeutend bleibt, wie die der Scherben?

Unbedingt! Ich will vor allem Songs hinterlassen, das ist ein großer Gedanke. Ich will nicht sagen, ich hab voll viele Platten verkauft, sondern, dass ein Song die Leute immer noch berührt. Ich war neulich mal im Schauspielhaus, da hat Jan Plewka Rios Songs gesungen. Und du hast bei den ganzen Leuten im Publikum den Glanz in den Augen gesehen und gemerkt, wie viel ihnen diese Musik bedeutet. Das hat mich total bewegt. Wenn ich das mit nur einem Song schaffe, das wär super. Geld ist eh eigentlich nur ein Abfallprodukt von Kunst.

Und wie willst Du das erreichen?

Ich glaube, das läuft auch darüber, wie ich meine Seele ausschütte. Es gibt Songs, die Gefühlsregungen auf einem Kommerzniveau sehr einfach darstellen: „Mein Herz brennt“, „Die Sehnsucht treibt mich“, also all diese institutionalisierten Worthülsen, die bei mir nichts mehr auslösen. Rio hat vermutlich dasselbe beschrieben, aber viel poetischere Worte gefunden. Darum geht es heute auch. Andere Worte zu finden, an denen sich die Menschen reiben. Ich will die Menschen nicht erziehen, sie sollen einfach mal drüber nachdenken, was ich sage. So ein bisschen Alexander Kluge-mäßig.

SWISS & Die Andern spielen im Sommer auf einigen Festivals und starten im Herbst eine große Missglückte Welt-Tour. Infos und Tickets gibt’s auf missglueckte-welt.de oder bei facebook. Wer die Geschichte vom Hafengeburtstag noch nicht kennt, dem sei der Beitrag von Michel Abdollahi empfohlen: https://kommentarrex.wordpress.com/2016/05/10/die-alternative-fuer-deutschland-afd-und-das-internet/.


2 Bier – 1 Platte

neonschwarz_booking_headerNeonschwarz & viermal HipHop

Eine Supergroup, die ihresgleichen sucht – so bezeichnen sich Neonschwarz (Foto@Franziska Holz) gerne selbst. Der Erfolg ihres Debütalbums 2014 und ein begeistertes Live-Publikum geben ihnen Recht. Ob sie mit ihrem neuen Spross Metropolis an diesen Erfolg anknüpfen können, wird sich bald zeigen.  Bevor sie die Festivalsaison wieder voll in Anspruch nimmt, besinnen sich die vier Hamburger aber noch mal auf ihre musikalische Inspiration. Die ist ziemlich klassisch, sich auf nur eine Platte festlegen wollen sie aber nicht.

Interview: Marthe Ruddat 

Marie Curry: So Lieblingssachen sind ja auch immer schwer.

DJ Spion Y: Das finde ich auch! Aber wenn es eines sein soll, dann nehme ich 36 Chambers vom Wu-Tang Clan. Ich weiß gar nicht, wann die heraus kam.

Johnny Mauser: 1993!

Ja, es ist der Johnny Mauser! Genau der, von dessen Konzert Feine Sahne Fischfilet-Frontmann Monchi in der ersten Episode von zwei Bier – eine Platte erzählt hat. Die lieben sich halt alle bei Audiolith.

DJ Spion Y: 1993, echt? Okay, das ist wirklich schon eine Weile her. Da waren außer Cappadonna noch alle dabei. Das ist einfach ein großartiges Album, Marthe-WTCwahrscheinlich das beste Rap-Album auf der Welt.

freitagsmedien: Schließt du dich an, Johnny?

Johnny Mauser: Nee, für mich war der größte Hip Hop-Meilenstein Gang Starrs Moment of Truth. DJ Premier ist einfach der beste Conceptionist im Hip Hop und weil Guru nun leider verstorben ist, ist das Album durch seinen Part noch legendärer.

Gang Starr war ein vor allem in den Neunzigern erfolgreiches Hip-Hop-Duo. Moment of Truth ist bis heute ihr meistverkauftes Album. Rapper Guru starb 2010.

Marie Curry: Dann sag ich jetzt Lauryn Hill, Miseducation.

DJ Spion Y: Warum findest du die so besonders gut?

Marie Curry: Ich finde sie einfach so beeindruckend, wie sie singt und rappt. Lauryn Hill ist einfach eine der Frauen, die früh im Hip Hop erfolgreich war.

Marthe-HillDJ Spion Y: Das stimmt! Leider ist das ja untypisch, dass Frauen als Rapperinnen so herausstechen. Außer bei Marie natürlich!

Ähm…ja…hat er schon selber gemerkt.

Captain Gips fehlt noch!

Captain Gips: Manchmal verbindet man bestimmte Platten ja auch mit besonderen Erlebnissen. Und bei der The Score von den Fugees ist das so. Musikalisch ist die gar nicht so toll, aber ich hatte damals so eine Punkphase und habe die Platte einfach nur abgefeiert.

Wir fassen zusammen. Die Neonschwarz Top Vier:

Wu-Tang Clan – Enter the Wu-Tang (36 Chambers)

Gang Starr – Moment of Truth

Lauryn Hill – The Miseducation of Lauryn Hill

Fugees – The Score

Das ist ja mal ein Haufen HipHop-Klassiker. Hängen die Platten deshalb eingerahmt an der Wand oder hört ihr sie auch regelmäßig?

DJ Spion Y: Ich finde, die gehören auf jeden Fall alle ins Regal. Für mich als DJ ist das aber vielleicht auch noch was anderes. Ich höre alle vier Platten gerne und lege alle auch noch auf.

Marie Curry: Lauryn Hill habe ich tatsächlich neulich erst gehört, aber eigentlich gehört die Platte nicht zu der Musik, die ich regelmäßig höre.

Johnny Mauser: Solche Klassiker müssen ja auch erst einmal Klassiker werden und sich den Titel der Lieblingsplatte verdienen. Es gehört einfach dazu, dass sie einen eine Zeit lang begleitet und das dann aber so langsam wieder im Regal verschwindet. Und wenn man dann den ein oder anderen Song auf einer Party Marthe-Gangwiederhört, freut man sich halt um so mehr.

Lauryn Hill – Doo Wop (That Thing)

Showing off your ass ’cause you’re thinking it’s a trend

Girlfriend, let me break it down for you again

You know I only say it ’cause I’m truly genuine

Don’t be a hard rock when you really are a gem

Baby girl, respect is just a minimum

Niggas fucked up and you still defending ’em

Now Lauryn is only human

Don’t think I haven’t been through the same predicament

Let it sit inside your head like a million women in Philly, Penn.

It’s silly when girls sell their soul because it’s in

Look at where you be in hair weaves like Europeans

Fake nails done by Koreans

Come again

Win win come again, brethren come again, my friend come again, yo come again

 Guys you know you better watch out

Some girls, some girls are only about

That thing, that thing, that thing

That thing, that thing, that thing

Heute ist die Auswahl an Musik, die potenziell mal zum Klassiker werden könnte, ja deutlich größer.  

Marie Curry: Das stimmt. Ich komme aus einer Kleinstadt. Wenn man da ein neues Album oder einen neuen Song hatte, war das immer so, als hätte man einen kleinen Schatz. Heute ist das ganz anders, da verschickt man einfach mal einen Link. Ich glaube, früher hat man alles viel öfter gehört und die Musik hat einen länger begleitet als heute.

Marthe-fugeesDJ Spion Y: Prinzipiell habe ich nichts dagegen, dass es heute so viele verschiedene Angebote gibt. Früher war alles einfach ein bisschen exklusiver und intimer.

Johnny Mauser: Und dadurch hat man auch aufmerksamer Musik gehört, als man das heute tut.

Hat das steigende Angebot dann auch dazu geführt, dass ihr euch mit unterschiedlichen Genres beschäftigt?

Captain Gips: Ja, bestimmt. Ich höre auf jeden Fall viele verschiedene Sachen. Bob Dylan und Agnes Obel find ich gut.

DJ Spion Y: Ich glaube, so etwas hören wir alle ganz gerne. Wir feiern ganz unterschiedliche Stile und Richtungen ab. Aber wir sind alle im HipHop Zuhause und deshalb fallen auch alle Lieblingsplatten in diesen Bereich.

In euren Songs stimmt ihr gerne auch mal sozialkritische Töne an. Wie wichtig sind euch die Inhalte bei anderen Bands?

Spion Y: Ach, man sollte sich schon mal anhören, was es alles so gibt. Ob man das jetzt von vorne bis hinten so abfeiert ist die andere Sache. Es gibt Beispiele, wo wir den Style gut finden, aber nicht mit allen textlichen Aussagen konform gehen. Anhören kann man ganz vieles, ohne komplett dahinter zu stehen.

Marie Curry: Das denke ich auch. Es gibt ja Songs, die sind inhaltlich total stark, aber von der Form her schlecht. Dann höre ich mir manchmal tatsächlich lieber einen Song an, der inhaltlich nicht so gehaltvoll, vom Stil her aber cool ist oder coole Reime hat. Sonst könnte ich ja auch einfach ein Buch oder einen Artikel lesen.

Johnny Mauser: Ich glaube, wenn man HipHop mag, dann hört man oft guten Rap, der inhaltlich manchmal schwierig, homophob oder rassistisch ist. Da Marthe1kommt man bei Straßenrap oft nicht dran vorbei.

Marie Curry: Ja, aber wenn die Aussagen total daneben sind, dann höre ich mir das auch echt nur einmal an und dann nie wieder.

Solche Aussagen sind auf Neonschwarz’ neuem Album Metropolis wohl nicht zu erwarten. Am 6. Mai erscheint der Neuling und wird mit einer fetten Release-Party in der Roten Flora gefeiert. Alle weiteren Live-Termine gibt’s online bei Neonschwarz.


Das Dienstagsgeheimnis

fragezeichen_1_Postgeheimnisumgehungsfähigkeit

Ob jemand in Film und Fernsehen nun wichtige Post erwartet oder einfach routinemäßig den Briefkasten leert – sobald er ein Kuvert in der Hand hält, reicht ihm schon ein flüchtiger Blick auf den Umschlag, um die Brisanz des Inhalts zu erkennen und entsprechend auf geregt zu reagieren.

Von Jan Freitag

Manchmal bedingen Filmgeheimnisse andere Filmgeheimnisse, was umso eindrücklicher ist, wenn es sich um solche zu einem anderen Geheimnis dreht: dem Briefgeheimnis. So ergibt die Rekapitulation aller Szenen, in denen normale Adressaten routinemäßig ihre Post durchblättern, dass die Menge der Kuverts gern zehnmal höher ist als bei ähnlich normalen Empfängern (sagen wir: Arbeiter und Bauern) im ganzen Monat; schon ihr analoger Posteingang ist also mindestens merkwürdig, aber doch mit dem zweiten Filmgeheimnis erklärbar. Falls besagter Adressat ein wirklich wichtiges Schreiben erwartet oder auch nicht, erkennt er seine Bedeutung nämlich stets schon am Umschlag und zwar sofort – selbst wenn es einer von Dutzenden ist, die auch noch hastig gesichtet werden.

Vordergründig hat auch das filmökonomische Hintergründe. Immerhin würde es ja die Aufmerksamkeit der Zuschauer selbst ereignisarmer Filme rasch überfordern, erst belanglose Korrespondenz (sagen wir: Telefonrechnungen) zu öffnen, bevor dramaturgisch dringlichere dran ist (sagen wir: Einladungen zu Duell/Mordprozess/Testamentseröffnung). Im Abgleich mit der Realität indes muss die Erkennbarkeit bedeutsamer Post eher mit dem Mitteilungsbedürfnis der Absender als der Antenne des Adressaten zu tun haben. Offenbar werden Briefumschläge in Film und Fernsehen nach wie vor mit Siegelringen verklebt, Blut beschriftet, Pistolenkugeln befüllt oder sonst wie äußerlich so gestaltet, dass das Innere bereits haptisch deutlich wird. Verwaschene Stempel, krakelige Schrift, neutrale Farbgebung – alles völlig ungeeignet für den Moment ungewöhnlicher Überraschung sogar beim belanglosen Öffnen der täglichen Post. So umfangreich sie auch Tag für Tag ist.


2 Bier – 1 Platte

Marthe-AbramoAbramowicz & Springsteen 

Bruce Springsteen kennt ja nun wirklich jeder. Seit Jahrzehnten infiltriert der Rock-Star vom Wohnzimmer bis zur Großraumhalle fast jeden Ort der Welt. Damit hat er bei Abramowicz ordentlich Eindruck geschunden, die wiederum kaum jemand kennt. Dabei veröffentlichen die fünf Hamburger demnächst eine äußerst vielversprechende EP und starten sodann ihre erste Tour als Headliner. Zur heutigen Episode von 2 Bier – 1 Platte deshalb eine Leseanleitung: Öffnet den Streaming-Dienst eurer Wahl oder taucht tief ein ins Darknet und genießt beim Lesen dieser wunderbaren Kolumne die durchdringenden Gitarren von Abramowicz.

Interview: Marthe Ruddat

freitagsmedien: Jetzt preise ich euch hier so an und ihr kommt mit Bruce Springsteens The River. Das ist ja wenig überraschend.

Sören: Ich weiß schon, was du meinst. Ich könnte jetzt auch sagen, dass ich irgendeine Band super finde, die mit unserer Musik gar nichts zu tun hat. Davon gibt es auch viele. Aber letztendlich stimmt es einfach, dass wir viel Springsteen hören und das müssen wir auch nicht leugnen.

Nils: Genau. Ich glaube, was Sören auch meint ist, dass man immer auch ein Kind dessen ist, was man hört und mit eben dieser Musik in Verbindung bringt. Springsteen ist für uns auch deshalb so wichtig, weil wir viele emotionale Momente mit seiner Musik verbinden.

Was für Momente sind das?

Nils: Ach, die Verschiedensten. Ich erinnere mich zum Beispiel, wie unser Vater zu Springsteen Luftgitarre gespielt hat und ich mich immer gefragt habe, was mit ihm nicht stimmt. Oder auch einige Familienausflüge zu Konzerten von Bruce Springsteen, bei denen wir einfach alle zusammen waren und Spaß hatten.

Sören und Nils Warkentin sind Brüder und bei Abramowicz für Gesang, Gitarre und Drums zuständig. Niki, Sascha und Finn komplettieren die Band, trinken wohl aber Dienstags nicht so gerne Bier.

Und wann kam der Moment, an dem ihr anfingt, euch selbst für Springsteen zu interessieren?

Sören: Ich habe Springsteen wirklich lange in die Alt-Herren-Rock-Ecke gestellt. Born in the USA kannte damals jeder und ich fand das eher ziemlich uncool. Aber mit 15 oder 16 habe ich plötzlich Songs und Alben entdeckt, hinter denen so viel mehr steckt. Seitdem ist meine Beziehung zu Springsteen getrennt von Marthe-Bruceunserem Vater und Born to be wild und ich habe viel Zeitloses entdeckt, was mir gefällt.

Das Repertoire von Springsteen ist ja sehr umfassend. Wieso sprechen wir heute über die The River?

Sören:Unabhängig davon, dass das Album einfach sehr gut ist, finde ich die Idee dahinter besonders interessant. Der Ansatz bei The River war, ein Live-Album zu schaffen, ohne, dass es live aufgenommen wird. Es ging also darum, genau das, was ein gutes Konzert ausmacht, auf eine Platte zu bringen. Das ganze ist so fernab von den heute oft zu findenden Konzeptalben, die eine ganze Geschichte erzählen sollen. Genau das fasziniert mich bis heute sehr. Auch wir sind eine Band, der Konzerte und der persönliche Kontakt sehr wichtig sind. Die Leute sollen denken, dass es die richtige Entscheidung war, ein Ticket für eines unserer Konzerte zu kaufen.

The River erschien 1980 und schaffte es als erstes von Springsteens Alben auf Platz 1 in den amerikanischen Charts. Es enthält ein paar Tracks, die es nicht auf das Vorgängeralbum Darkness on the Edge of Town geschafft hatten. Viele Songs thematisieren die Probleme der Arbeiterklasse.

Mit Bruce Springsteen als Vorbild setzt ihr euch selbst natürlich großem Leistungsdruck aus.

Sören: Wir beantworten die Frage eigentlich nicht unter dem Aspekt des Idols oder Vorbilds. Ich glaube, wenn du explizit danach gefragt hättest, hätten wir die Frage sogar abgewehrt. Aber wenn es um eine Platte geht, dann müssen wir die Frage danach einfach so beantworten.

Nils: Genau. Es geht gar nicht um dieses Idol-Ding. Dabei beschränkt man sich zu sehr auf eine Person und vergisst gleichzeitig den musikalischen Kontext. Wir sprechen da lieber von Inspiration. Unsere Musik ist nicht darauf ausgerichtet, Springsteen nachzuspielen oder nachzueifern. Das hätten wir am Anfang auch gar nicht gekonnt, da gab’s nur 1,2,3,4-Punkrock.

Marthe1Bruce Springsteen war gerade wieder in der Presse, weil er ein 35-Songs-Konzert gespielt hat. Ihr steht nun kurz vor eurer ersten Headliner-Tour. Wie sieht’s diesbezüglich mit Inspiration aus?

Sören: Also das können wir nun wirklich nicht. Wir haben erstens gar keine 35 Songs, die wir spielen wollten und zweitens überhaupt nicht die Kondition. Ich persönlich gehe auch viel lieber auf ein 45-Minuten-Konzert, das mich richtig umhaut, als auf ein 3-Stunden-Konzert, nach dem ich total überanstrengt bin. Wir spielen ungefähr eine Stunde und zwar richtig mit Knall, aber wohl niemals drei Stunden.

Nils: Ach, ich glaube das könnten wir irgendwann schon schaffen. Das ist einfach eine Entwicklung. Aber wir stehen wirklich noch ganz am Anfang und benötigen nach 1:15 Stunden schon ein Sauerstoffzelt. Vielleicht sind wir aber irgendwann mal soweit.

Mit Covern kriegt man die Setlist voll! Wenn ihr Euch eines von der The River aussuchen müsstet, welches wäre das? Ein Smasher wie Hungry Heart?

Nils: Ich würde Out in the Street oder Crush on You nehmen.

Sören:Out in the Street! Das auf jeden Fall!

Bruce Springsteen – Out in the Street

I work five days a week girl

Loading crates down on the dock

I take my hard earned money

And meet my girl down on the block

And Monday when the foreman calls time

I’ve already got Friday on  my mind.

When that whistle blows

Girl, I’m down the street

I’m home, I’m out of my work clothes

When I’m out in the street

I walk the way I wanna walk

When I’m out in the street

I talk the way I wanna talk

When I’m out in the street

When I’m out in the street.

Stellen wir uns vor, ihr trefft Bruce persönlich. Gibt es etwas, was ihr ihn unbedingt fragen möchtet oder schon immer mal sagen wolltet?

Sören: Mit Sicherheit würde ich ihn ganz Vieles fragen! Was ich auf jeden Fall sagen würde ist: Vielen Dank, dass du eine stetige Inspiration bist, meine Gitarre immer wieder in die Hand zu nehmen!

Nils: Ich glaube ich würde gar nichts fragen. Ich würde eher versuchen, in ein normales Gespräch zu kommen, sodass er mir einfach einen Schwung aus seinem Leben erzählt. Der Typ hat so viel erlebt und sicherlich so viel zu erzählen, dass es eher blöd wäre, sich auf eine Frage zu beschränken.

Sören: Insofern kann man ihn als passionierten Biertrinker vielleicht einfach auf ein Bier einladen.

Wie man sieht, ist das immer eine gute Idee! Noch eine viel tollere Idee ist aber, sich ab dem 20. Mai die EP Call the Judges von Abramowicz anzuhören. Live-Eindrücke kann man am 27. Mai im Rock Café St Pauli oder bei Facebook sammeln.


2 Bier – 1 Platte

Marthe-Eljot QuentEljot Quent: Hathaway/Beginner

Es ist mal wieder Zeit für HipHop bei 2 Bier – 1 Platte! Wie unglaublich passend, dass sich Müwie und Len Kurios gerne auf zwei Bier treffen. Gemeinsam mit Fogel haben sie vor knapp sechs Jahren die HipHop-Kombo Eljot Quent gegründet. Seitdem haben die Hamburger zwei Studioalben veröffentlicht und ihr derbes Publikum bei unzähligen Festivals und Konzerten zum Kopfnicken gebracht. Ihre schöpferische Winterpause haben Müwie und Len genutzt, um ihre Lieblingsplatten endlich mal in eine Bar auszuführen.

Von Marthe Ruddat 

freitagsmedien: Das sind ja gleich mehrere Lieblingsplatten! Konntet ihr euch nicht entscheiden?

Auf dem Tisch liegen unter anderem Platten von Lenny Krawitz, The Jackson Five und Mike Krüger.

Len: Irgendwie nicht so richtig! Alle Platten hatten Einfluss auf mich und sind mir wichtig.

Das verstehe ich sehr gut! Aber jetzt müsst ihr euch entscheiden.

Len: Dann muss ich noch mal kurz überlegen.

Müwie: Für mich ist es leicht. Ich nehme die Bambule von Absolute Beginner.

Bambule! Das überrascht nicht wirklich.

Bambulevon Absolute Beginner war das 1998 veröffentlichte, zweite Studioalbum der Eimsbütteler Jungs und ihr kommerzieller Durchbruch, obwohl es die Platte nie in die Top 10 der Charts geschafft hat.

Müwie: Nee, natürlich nicht. Aber es geht ja hier auch darum, dass wir Musik machen und genau dafür war diese Platte von Anfang an sehr wichtig. Ich war vor Marthe-Bambule17 Jahren in Japan und hatte die Platte vorher geschenkt bekommen. Mit meiner Gastfamilie waren wir viel im Auto unterwegs und ich durfte immer die Musik aussuchen. Und da ich nur die eine CD dabei hatte, lief die Bambule ununterbrochen. Zeitlich war ich zwar spät dran, aber das war mein erster Kontakt mit deutschem Hip Hop und ist auch bis heute die einzige Platte, von der ich jeden Song mitrappen kann. Ich glaube, ich kann da auch für uns alle sprechen und sagen, dass der Style der Platte und die Art des Hip Hop für uns sehr prägend waren.

Mit so einem Vorbild wie den Beginnern ist der Anspruch sehr hoch…

Müwie: Ja, aber das ist ja nicht unbedingt schlecht. Vorbild ist ja aber irgendwie ein schwieriger Begriff. Es geht uns eher darum, Alben wie dieses zu machen: Jeder Song ein Hit! Es darf keine Lückenfüller geben, jeder Song muss geil sein.

Welchen Song findest du auf der Bambule denn besonders gut?

Müwie: Das ist nicht so einfach. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, dann wäre das Das Boot, also gleich der erste Song. Als ich den Rap das erste Mal gehört habe, konnte ich es nicht fassen. So etwas gab es vorher einfach nicht.

Absolute Beginner – Das Boot

[…]

Irgendwo auf einer Fähre Richtung Karriere

Saßen mehrere, eher leerere Köpfe mit ‘ner Riesenschere

Fischten die wenigen, frischen MC’saus’m Wasser

Schnitten sich was ab und ließen die guten dann in den Fluten verbluten

In trüben Gewässern taten Piraten warten

Wollten uns Hanseaten an den Kragen, uns unsere Styles abjagen

Die Penner wollten uns entern, doch wir brachten sie zum kentern

Denn mein DJ hat ‘ne Motorsäge und die wiegt 10 Zentner.

[…]

Texte wachsen nicht auf Bäumen

Beats kommen nicht mit der Post

Darum feilen wir, weilen wir, feilen wir

Bauen Sachen wovon andere nur träumen

Nur beste Kost und so stylen wir

Geile Styles stylen wir.

Marthe1Ihr habt doch die Beginner bestimmt schon mal getroffen. Wie groß war da der Fan-Faktor?

Müwie: Ja, das war schon ein sehr wichtiger Moment. Mad kennen wir schon ein bisschen länger und auch Denyo haben wir schon einmal getroffen. Im November haben wir dann beim Catch-A-Fire alle drei Mitglieder getroffen. Das war schon wirklich etwas besonderes, am gleichen Tisch zu sitzen und die gleiche Bühne zu bespielen. Weißt du, es war nie mein Ziel die Jungs unbedingt zu treffen. Aber jetzt, wo es passiert ist, frage ich mich wirklich, was da noch kommen soll!

Len: Deshalb haben wir in dem Moment auch beschlossen unsere Karriere zu beenden.

Scherz!

Dir gefällt die Platte also auch?

Len: Ja klar! Die Bambule ist einfach klasse. Wenn man sich die Zeit anschaut, dann haben die Jungs wahrscheinlich vor 20 Jahren angefangen die Platte aufzunehmen. Bis heute sind die Beats aber zeitlos großartig.

Du hast dich jetzt aber doch für eine andere Platte entschieden?

Len: Ja, ich habe mich jetzt entschieden! Meine Platte ist die Live von Donny Hathaway!

Donny Hathaway ist nicht zu verwechseln mit der 90er-Eurodance-Ikone Haddaway! Der Soul-Musiker brachte 1972 das Album Live auf den Markt. Es wurde in Hollywood und Manhattan aufgenommen und enthält auch Cover, wie zum Beispiel Marvin Gayes What’s Going On. 

Soul! Warum Soul?

Len: Mein Vater hat immer viel Soul und Jazz gehört und das hatte einen großen Einfluss auf mich. Ich baue mit Fogel zusammen ja auch die Beats von Eljot Quent und Soul und Jazz sind einfach ein großer Bestandteil der Sampling-Arbeit.

Also konntest Du die Platte schon für Eure eigene Musik nutzen?

Len: Nein, von der Platte habe ich noch nichts gesampelt, dafür ist sie auch schon zu bekannt! Aber wie der Name schon sagt, ist es eine Live-Platte und Konzerte sind auch für uns eine wichtige Sache, wenn nicht das Wichtigste. Wir sind lieber eine Live-Kapelle als eine Album-Kapelle. Die Live ist dafür eine Marthe-Hathawayhervorragende Inspiration, von der man viel lernen kann.

Stellt Euch vor, jemand kennt die Bambule und die Live nicht. Wie würde eure Promo-Punchline klingen?

Müwie: Oha, darüber muss ich erst einmal nachdenken.

Len: Oh man, das ist schwer! Ich bin ja auch eigentlich nicht so der Texter. Aber die Punchlines für die Live stehen ja quasi schon im Booklet. Aretha Franklin hat offenbar gesagt: „The baddestnewsound on thescene!“ Ich finde das sehr passend. Auf jeden Fall ist es Herzmucke, einfach warme Musik fürs Herz.

Müwie?

Müwie: Das ist nicht so einfach. Vielleicht: Sie halten mich für einen nostalgischen Spinner, aber ich will zeitlos sein wie Bambule, Beginner.

Wer nun auf den Geschmack der Reimkünste von Eljot Quent gekommen ist, dem seien die Alben Alles auf Anfang und Batman ist tot empfohlen. Im Moment befindet sich die Band in der „Winterpause“, welche auf ein neues Album hoffen lässt. Neueste Ankündigungen, Videos und Livetermine gibt es auf eljotquent.com.


Das Dienstagsgeheimnis

fragezeichen_1_Heldenwirkungstrefferwarteschleife

Gewiss, es zählt zu den ungeschlagenen Evergreens absurder Film- und Fernsehstandards, aber warum Filmhelden selbst im Kampf mit großen Gruppen skrupelloser Filmhelden-Feinde grundsätzlich abwechselnd, also einzeln angegriffen werden, bedarf doch einer genaueren Erklärung.

Von Jan Freitag

Würden die realen Regeln zünftiger Wirtshauskeilereien oder der dritten Halbzeit im Zeitalter gewaltaffiner Hooligans auch am Bildschirm gelten – das der Filmhelden wäre rasch beendet gewesen: weil sie oft einsame Streiter wider das Böse sind, ihm also gern allein entgegen treten, reichte stets eine Handvoll Gangster, um beim kollektiven Angriff Schluss zu machen mit dem Heroismus. Da Helden aber nun mal den Nährboden fast aller Erzählungen sind, pflegen visuelle Medien seit jeher, Attacken jeder Art gegen sie abwechselnd fahren zu lassen. Man kann das schön in jedem Infight à la Karl May sehen: Während Old Shatterhand einen Cowboy erledigt, stehen die 23 anderen allenfalls zappelnd, aber passiv im Kreis herum und warten brav auf ihre Abreibung. Nur warum genau?

Da wäre zunächst die Fürsorgepflicht der Produktion fürs Happyend. Dem würden Ganoven, die zwar jedem Kleinkind im Notfall hinterrücks in den Rücken schössen, aber im Nahkampf plötzlich Sittenstrenge bewiesen, ja beim ersten Heldenkontakt den Garaus machen. Zumal, Grund 2, die Heldentauglichkeit wahrer Helden im Repertoire wirksamer Methoden vom fatalen Leberhaken bis zum spiralförmig eingesprungenen Double-Foot-Side-Kick besteht, Schurken möglichst variabel (man frage da nur mal Terrence Hill und Bud Spencer) unschädlich zu machen. Hinzu käme ein Gebot filmischer Übersichtlichkeit, das die Verantwortlichen (auch aus Kostengründen) von Massenszenen Abstand nehmen lässt. Und da war vom Postulat der Handlungsökonomie, in deren Sinne es sinnvoll ist, das Wesen gewöhnlicher Heldenstoffe (also den Heldenkampf) nicht in zwei, drei Minuten durch frühzeitigen K.O. abzuschöpfen, noch gar nicht die Rede. Also, liebe Gegenspieler: bitte anstellen! Ihr kommt schon noch dran…


2 Bier – 1 Platte

Marthe-RSSRSS Disco: Grace Jones

Natalie, Falk und Max legten erstmals auf dem Geburtstag eines gemeinsamen Freundes zusammen auf. Das kam so gut an, dass die drei Hamburger als RSS Disco seitdem große und kleine Clubs und Festivals in ganz Europa bespielen. Immer mit dabei: Eine Mischung aus House, Acid-Disco und sanften Popklängen und natürlich der rosa Flamingo. Mit Mireia Records haben RSS Disco ihr eigenes Label gegründet. Alle hier veröffentlichten Plattencover sind mit Sieb- oder Kartoffeldruck hergestellte Unikate. Wie schwer mag es wohl für so ausgeprägte Plattenliebhaber sein, bei ein paar Bier über nur eine Platte zu sprechen?

Von Marthe Ruddat

Falk: Das war nicht so einfach für uns! Als DJs kennen wir natürlich sehr viele Platten.

Max: Die Wahl war wirklich schwer! Wir haben uns deshalb entschieden, das Ganze eher auf einer Metaebene zu betrachten. Was ist also die wichtigste Platte für uns? Und da haben wir festgestellt, dass das die letzte Platte ist.

Falk: Also die letzte Platte des Sets! Natürlich ist jeder Song des Sets irgendwie wichtig. Aber mit dem letzten Song entlässt man das Publikum, mit dem man ja im besten Fall schon die ganze Nacht getanzt hat, in die Nacht hinaus. Mit diesem Song nehmen sie das letzte Gefühl aus dem Club mit.

Falk: Und bei Grace Jones’ La vie en rose bleibt die Melodie besonders lang im Ohr.

La vie en rose ist ein 1947 veröffentlichter Chanson von Édith Piaf. Grace Jones veröffentlichte den Song 1977 mit ihrem Debutalbum Portfolio in einer Discoversion. Die Albumversion ist dabei mit über 7 Minuten Spielzeit deutlich länger als die Singleversion. Auch eine 1985 veröffentlichte Neuaufnahme des Songs stieg in die englischen Charts ein.

freitagsmedien: Der so oft gehörte typische Rausschmeißer ist das ja nicht gerade.

Max: Genau!

Natalie: Eigentlich ist nämlich genau das ganz schön! Wir betrachten so ein Set als eine Reise: Man startet zusammen und spannt den Bogen um eine Welt, in der man sich richtig austoben kann. Irgendwie muss man die Reise dann ja aber auch zu Ende bringen. Genau dieses Ende kann sehr melancholisch sein. Wir finden es aber viel schöner, die Menschen mit einer Euphorie zurück zu lassen.

So eine Euphorie erzeugen bestimmt auch andere Stücke. Was ist das Besondere an dem Grace Jones-Song?

Natalie: Besonders schön ist, dass dieses Lied so lang ist und wir selber auch dazu tanzen können.

Falk: Genau, es hat einen sehr langen Aufbau, der sich wiederholt. Es fängt also ganz langsam an und irgendwann bricht es dann voll aus. Und dann lassen wir Marthe-Graceganz gerne das DJ-Pult hinter uns und stürmen auf die Tanzfläche.Außerdem ist der Song so interessant zeitlos. Grace Jones hat ihn zwei Mal, zu jeweils musikalisch ganz verschiedenen Zeiten veröffentlicht und war beide Male sehr erfolgreich. Ich glaube, er ist deshalb auch ein gutes Beispiel dafür, dass wir gerne verschiedene Stile miteinander verbinden.

Natalie:Dieses Lied begleitet uns einfach schon sehr lange. Es war früher im richtigen Moment schon die richtige Wahl und das hat sich bis heute nicht geändert.

Was wäre denn der falsche Moment für den Song?

Natalie: Oh, da gibt es Diverse! Als erstes Lied wäre er zum Beispiel ganz fürchterlich!

Max: Auf jeden Fall! Wir sind da wirklich sehr behutsam und machen uns viele Gedanken über unsere Sets. Das betrifft insbesondere das erste Lied. Das letzte Stück steht niemals fest, weil wir ja nie wissen, wohin der Abend führt. Es muss aber in jedem Fall ein besonderes Stück sein. Und häufig hatLa vie en rose dieses Besondere.

Auch der Titel des Songs scheint ja besonders passend für RSS Disco.

Falk: Richtig! Das müssen wir auch noch besprechen. Frei übersetzt heißt das so etwas wie die rosarote Brille. Genau das ist ja, wo wir hin wollen! Wir wollen durch Musik mit dem Publikum ein bisschen Eskapismus erreichen. Der Titel drückt das super aus!

Max: Genau! Und manchmal trinken wie auch Rosé-Cremant.

Natalie: Und wir hätten alle gerne das rosa Kleid aus dem Youtube-Video!

Wer sich an dieser Stelle wundert, dass der rosa Flamingo es nicht aufs Bild geschafft hat: Er macht gerade alkoholfreien Monat und war deshalb entschuldigt.

Ist Grace Jones als schillernde Persönlichkeit mit all dem, was sie verkörpert, eine Art Vorbild für Euch?

Max: Naja, also wenn wir Vorbilder haben, dann gehört sie auf jeden Fall dazu. Sie hat einfach eine unglaubliche Ausstrahlung und verkörpert die Dinge, die auch uns wichtig sind.

Falk: Ihre Art Performance und Mode zu verbinden ist sehr spannend. Außerdem ist sie total experimentell und macht trotzdem Popmusik.

Natalie: Und sie lässt sich nicht auf eine Geschlechterrolle festlegen und ist damit super modern. Sie ist schon toll!

 

Grace Jones – La vie en rose

When he takes me in his arms

And whispers love to me

Everything’s  lovely

It’s him for me and me for him.

All our lives

And it’s so real what I feel

This is why.

Et dèsque je l’apercois

Alors je sens en moi, mon coeur qui bat.

La vie.

La vie en rose, la vie en rose…

 

Hört ihr Grace Jones und den Song also auch privat? 

Natalie: Nein, das geht nicht. Insbesondere dieser Song ist viel zu belegt.

Falk: Viel zu aufgeladen! Man muss sich privat so ein bisschen von dieser Musik distanzieren, sonst denkt man immer nur darüber nach, ob und wann man welches Lied wohl spielen könnte. Deshalb greife ich da eher zu tanzmäßig nicht so aufgeladener Musik, also Rock, Indie…

Natalie: Ich höre dann meistens irgendwelchen Seventies-Kram.

Max: Ich spiele das Stück tatsächlich manchmal für meine Kinder. Die finden es einfach großartig und fahren voll drauf ab. Aber das sind ganz andere Zusammenhänge.

Marthe1Welche fünf Adjektive beschreiben La vie en rose am besten?

Max: Vielleicht führen wir das lieber wieder zurück auf die Metaebene. Also fünf Adjektive für die letzte Platte. Die sind dann zwar nicht speziell für diesen einen Song, treffen auf ihn bestimmt aber auch zu.

Okay, fünf Adjektive für die Meta-Letzte-Platte!

Falk: Melancholisch!

Natalie: Euphorisch!

Falk: Das ist schon mal ein super Spannungsbogen.

Max: Aber dann auf jeden Fall auch rhythmisch. Das sind ja schon immer Stücke, die den vorherigen Rhythmus mit aufnehmen.

Falk: Rhythmisch ist gut.

Langes Überlegen, es werden neue Adjektive erfunden.

Natalie: Warm?

Falk: Warm ist super! Aber ich glaube über das letzte müssen wir noch länger nachdenken.

Wer neugierig auf das fünfte Adjektiv ist, kann am 13. Februar bei der Beta Lounge in der Hamburger Botschaft mal danach fragen oder am Ende der Nacht gar eigene Vorschläge machen. Alle weiteren Termine und vor allem ganz viel Tanzbares für Zuhause gibt es hier.